Die Rettung
ab und Raymond fuhr fort: »Mrs. Matheson wird ein paar Sachen zusammenpacken, und Sie werden sie nicht daran hindern.« Er sprach ruhig und befehlsgewohnt. »Wenn Sie Schwierigkeiten machen, wandern Sie wieder ins Gefängnis, und diesmal dürfte die Kaution wesentlich höher angesetzt werden.«
»Verdammte Schwuchtel!« Kenneth spie Raymond die Worte hasserfüllt ins Gesicht, verzichtete jedoch auf weitere Drohungen. Schweigend blieb er am Fuß der Treppe stehen und sah zu, wie Barri, Cody und Raymond an ihm vorbeigingen und die Stufen hochstiegen.
Barri wollte das Ganze nur noch so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie hastete ins Schlafzimmer, holte ihren Koffer aus dem Schrank und packte ein paar Kleider hinein.
»Die Papiere, Mrs. Matheson«, erinnerte Cody sie. »Vergessen Sie Ihre Papiere nicht. Geburtsurkunde, Pass, Autopapiere, Versicherungspolicen und solche Dinge.«
Barri nickte und fuhr fort, Kleidungsstücke in den Koffer zu stopfen.
Kenneth, der sich unten in sicherer Entfernung wähnte, überschüttete sie derweilen mit einem Schwall von Beschimpfungen. Raymond hielt mit unbewegtem Gesicht neben der Schlafzimmertür Wache. Barri kämpfte mit den Tränen, als Kenneth mit traumwandlerischer Sicherheit ihren wundesten Punkt traf.
»Du hast Dylan auf dem Gewissen!«, kreischte er. »Du hast wie eine Klette an dem armen Jungen gehangen, bis er vor lauter Verzweiflung nach Europa geflüchtet ist, nur um dich endlich loszuwerden!«
Armer Junge? Als Kenneth das letzte Mal mit Dylan im selben Raum gewesen war, hatte er seinen Sohn einen kleinen Scheißkerl genannt. Aber obwohl Barri wusste, dass Kenneth' Worte nicht der Wahrheit entsprachen, traf sie die Anschuldigung mitten ins Herz. Tränen rollten ihr über die Wangen, als sie den Koffer zuklappte, die Schlösser einschnappen ließ und versuchte, ihn anzuheben. Ein glühender Schmerz schoss durch ihre Brust und sie rang nach Atem.
»Raymond!«, rief Cody. Ihr Mann kam ins Zimmer und nahm Barri den Koffer ab.
»Das Büro ist unten«, erklärte Barri. Raymond nickte und stapfte die Treppe wieder herunter. Die beiden Frauen folgten ihm.
»Du elendes Miststück!« Kenneth stand immer noch am Fuß der Treppe und bedachte seine Frau mit einem giftigen Blick. Als er sah, dass Barri auf das Büro zuging, stieß er ein unartikuliertes Gebrüll aus. »Den Teufel wirst du tun!«
Er machte Anstalten, auf sie loszugehen. Raymond trat dazwischen, stieß Kenneth so grob zurück, dass dieser gegen die Wand der Halle taumelte, stellte dann den Koffer auf den Boden und hob die Fäuste, als rechne er mit einem neuerlichen Angriff.
»Ich meine es ernst, Mr. Matheson. Wenn Sie nicht Vernunft annehmen, rufe ich die Polizei.« Seine Stimme verriet seine innere Anspannung. Er war nicht darauf erpicht, sich auf einen Kampf mit diesem wütenden, selbstgerechten, gewalttätigen Schläger einzulassen. Auch die beiden Frauen wussten, dass Raymond seinem Gegner nicht gewachsen war. Nur die Tatsache, dass Kenneth im Grunde seines Herzens ein Feigling war, verhinderte, dass die Situation außer Kontrolle geriet.
Barri nutzte den Moment, um rasch in das Büro zu schlüpfen. Der große Eichenholzschrank enthielt all die Unterlagen, die sich während ihrer dreißigjährigen Ehe angesammelt hatten: Garantiescheine und Bedienungsanleitungen für Haushaltsgeräte, Steuerbescheide, Bankauszüge, Rechnungen und Besitzurkunden. Hastig suchte sie ihre Bankkarte, das Scheckbuch, den Fahrzeugschein für den grünen SUV, der auf ihren Namen lief, ihre Geburtsurkunde und ihren Pass zusammen.
Als sie die Geburtsurkunde aus dem Ordner nahm, entdeckte sie die Dylans direkt dahinter. Ohne zu zögern zog sie sie mit zitternden Fingern heraus und nahm auch die Geburtsbestätigung des Krankenhauses mit dem kleinen schwarzen Fußabdruck darauf an sich. Dann suchte sie in einer Schublade nach einem großen Umschlag und schob die Papiere hinein.
Als sie in die Halle zurückkehrte, überhäufte Kenneth Raymond noch immer mit Verwünschungen. Ohne weiter auf ihn zu achten, wandten die drei sich ab und verließen wortlos das Haus.
Raymond verstaute den Koffer in seinem Wagen, während Cody von Barri zu dem SUV begleitet wurde.
»Der Wagen bleibt hier!«, brüllte Kenneth so laut, dass die ganze Nachbarschaft es hören konnte. Zwar wagte er nicht, ihnen in den Hof zu folgen, weil er sich vor dem finster zu ihm hochblickenden Raymond fürchtete, aber er blieb keifend am Rand der Veranda
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