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Die Rettung

Titel: Die Rettung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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auf dem ebenso verstaubten Sofa zurück. Auf dem dazugehörigen Couchtisch lagen ein paar Kung-Fu-Magazine, auf deren Titelbildern Männer in weißen Kampfanzügen prangten. Die Ecken waren teilweise vergilbt und hatten sich in der feuchten Luft zusammengerollt. An einer Wand verlief ein schlichtes Stahlregal, das Dylans Fernseher, seine Stereoanlage und eine Anzahl von CDs und Musikkassetten enthielt. An der gegenüberliegenden Wand hingen Bücherregale aus Holz, die mit Büchern über schottische Geschichte voll gestopft waren.
    Barri fiel das Atmen plötzlich schwer. Sie schluckte hart, doch der Kloß der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, wollte sich nicht lösen. Ungläubig sah sie sich weiter um. Das spärlich eingerichtete Apartment verriet nichts über die Persönlichkeit seines Bewohners. Sie trat auf den Balkon hinaus und beugte sich über das niedrige Geländer. Von hier aus konnte sie ein Stück des Trainingsraumes und einen Schaukasten sehen, in dem alte Schwerter hingen. Das, was sie dort unten sah, hatte Dylans Leben ausgemacht. Der Lehrer in ihm hatte den Mann besiegt -den Mann, den sie großgezogen hatte.
    Sie ging in das Schlafzimmer, das sogar noch kärglicher möbliert war als der Wohnraum. Kein Bild schmückte die weiß gestrichenen Wände. Die Bettwäsche war hellblau und ungemustert, die Tagesdecke dunkelblau. Über dem Holzstuhl neben der Tür zum Bad hing ein blaues Handtuch.
    Am Fenster gab es keine Vorhänge, nur ein altes, vergilbtes Rouleau. Im Schrank hingen ein paar Hemden, Jeans und ein dunkelgrauer Anzug. Schuhe lagen auf dem Schrankboden verstreut, darunter auch ein uraltes abgetragenes Paar knöchelhoher Polostiefel aus Wildleder, die mit einer seltsamen schwarzen Schmutzkruste bedeckt waren.
    Barri seufzte. Dylan war schon lange, lange fort. Nichts deutete darauf hin, dass er je wieder zurückkommen würde. Sie ließ sich auf das Bett sinken und drückte ein blau bezogenes Federkissen an ihre Brust.
    Es roch nach ihm. Großer Gott, der Geruch ihres Sohnes hing noch in diesem Kissen! Sie hielt es an ihr Gesicht und ver-grub die Nase darin. Erinnerungen stiegen in ihr auf. Sie schloss die Augen und sah ihn vor sich; groß, muskulös, mit denselben freundlichen, humorvollen Augen, die auch sein Vater gehabt hatte, bevor vom Whisky alles zerstört wurde, was gut und liebenswert an ihm war.
    Sie erinnerte sich daran, wie fürsorglich Dylan stets gewesen war, wie er sie bei ihrem letzten Gespräch zu überreden versucht hatte, Kenneth zu verlassen und endlich ein eigenes Leben zu führen. Damals war ihr dieser Vorschlag schlichtweg undurchführbar erschienen. Jetzt wünschte sie sich, sie könnte die Zeit noch einmal bis zu diesem Tag zurückdrehen. Sofort würde sie dann zustimmen, Kenneth zu verlassen, nur damit Dylan nicht nach Schottland ginge. Alles würde sie versprechen, damit er blieb. Hätte sie doch nur eine zweite Chance ...
    Sie rief sich die Zeit ins Gedächtnis zurück, als Dylan noch ein kleiner Junge gewesen war und sie angebettelt hatte, Kung-Fu-Unterricht nehmen zu dürfen. Er bestand darauf, dass es Kung Fu und nicht Karate sein sollte, weil die Männer im Fernsehen alle Kung Fu beherrschten. Und dann seine Begeisterung für Schwerter! Stundenlang konnte er ihr mit leuchtenden Augen von diesem oder jenem Schwert vorschwärmen, und obwohl Barri selbst ein Schwert kaum von einem Säbel unterscheiden konnte, hebte sie es, seinen Erklärungen zu lauschen, weil es ihn glücklich machte.
    Sie erinnerte sich, wie er damals Fußball gespielt und sie immer am Spielfeldrand gestanden, ihn angefeuert und seine Freude geteilt hatte, wenn seine Mannschaft gewann.
    Sie erinnerte sich an ein Weihnachtsfest vor langer Zeit, als Dylan noch an den Weihnachtsmann geglaubt hatte und die halbe Nacht wach geblieben war, um einen Blick auf ihn erhaschen zu können.
    Und sie erinnerte sich an den Tag seiner Geburt. So klein war er gewesen, so hilflos. Die Freude darüber, dass er gesund und munter war, wurde bald von dem Gedanken getrübt, dass sie von nun an für alles, was ihm zustoßen mochte, die Verantwortimg trug. Sie hatte sich die Schuld für jedes aufgeschlagene Knie gegeben, für jede Enttäuschimg, die ihm widerfuhr, für alles, was in seinem Leben je schief gegangen war. Und schließlich sogar für seinen Tod.
    Barri rollte sich auf dem Bett ihres Sohnes zusammen, kuschelte ihr Gesicht in das Kissen und hing ihren Erinnerungen nach, bis sie endlich in einen unruhigen Schlaf

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