Die Rettung
stehen, fuchtelte mit den Armen und schwankte dabei bedrohlich hin und her. Er sah aus, als würde er jeden Moment das Gleichgewicht verlieren und die Stufen hinunterstürzen.
Barri krümmte sich innerlich. Wollte er denn unbedingt laut hinausposaunen, was hier vor sich ging? Mit zittrigen Fingern versuchte sie den Schlüssel in das Türschloss des SUV zu stecken, doch er entglitt ihr und fiel zu Boden. Sie hob ihn auf und versuchte es erneut, doch es gelang ihr nicht, die Autotür zu öffnen.
Cody nahm sie am Arm. »Vielleicht sollte ich lieber fahren.« Sie streckte die Hand aus.
Barri nickte, reichte ihr den Schlüssel und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Sie drehte sich nicht um, als Cody sie von dem Haus fortbrachte, das seit über dreißig Jahren ihr Heim gewesen war, sondern kämpfte nur verzweifelt mit den Tränen.
Die Sonne ging bereits unter, als sie Dylans Studio erreichten. Hier hatte er einst Unterricht in Degen- und Florettfechten sowie asiatischen Kampfsportarten erteilt und sich so seinen Lebensunterhalt verdient. Raymond stellte den Koffer vor der Tür auf dem Bürgersteig ab. Cody wandte sich an Barri. »Meinen Sie, dass Sie allein zurechtkommen? Ich kann gerne noch eine Weile bei Ihnen bleiben, wenn Sie möchten.«
Barri brachte kein Wort heraus, sondern starrte nur blicklos auf die gläserne Flügeltür.
»Wenn das alles zu viel für Sie ist...«
»Nein.« Endlich fand Barri die Sprache wieder. »Da muss ich jetzt durch, und wenn es mir noch so schwer fällt. Ich muss lernen, mich allein zurechtzufinden.«
»Dann lassen Sie Ray eben den Koffer hineintragen.«
Barri schüttelte den Kopf. »Ich möchte gerne noch einen Moment hier draußen stehen bleiben.«
»Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas brauchen. Und falls Ihr Mann Ärger macht, verständigen Sie die Polizei.«
Wieder nickte Barri. Cody umarmte sie unbeholfen, dann verabschiedeten Raymond und sie sich und stiegen in ihr Auto.
Dylan hatte seiner Mutter - und nur ihr, nicht etwa auch seinem Vater - das Haus und den Löwenanteil an der Kampfsportschule hinterlassen. Sein früherer Assistent Ronnie hatte ebenfalls einige Anteile geerbt und betrieb das Unternehmen jetzt alleine, doch das über den Übungsräumen und dem Büro gelegene Apartment stand seit Dylans Tod leer. Mit brennenden Augen las Barri die Aufschrift, die in roten und goldenen Let-tern auf den Fenstern zu beiden Seiten der Glastür prangte: »Fecht- und Kampfsportschule Matheson, Inh. Dylan Matheson.«
Ihr Herz krampfte sich zusammen. Mühsam rang sie um Beherrschung. Zwei Jahre lang hatte sie sich beharrlich geweigert, einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen. Ronnie unterrichtete zwar in den unteren Räumen, aber soweit Barri wusste, war seither niemand mehr oben in dem Apartment gewesen. Als ihr klar wurde, was ihr bevorstand, begann sie wieder zu zittern. Sie wusste, dass sie den Anblick des leeren Studios kaum würde ertragen können. Kein Dylan mehr, dessen Stimme von den Spiegelwänden widerhallte und der den Raum mit Leben erfüllte. Aber ihr blieb keine Wahl. Sie wusste nicht, wo sie sonst hingehen sollte. Schließlich überwand sie sich, schloss die Tür auf und betrat, ihren Koffer mühsam hinter sich herzerrend, das Haus.
Die Sonne war fast hinter dem Horizont versunken, die letzten Strahlen drangen noch durch die heruntergelassenen Jalousien und tauchten den Raum in ein orangegoldenes Licht. Die Glastür fiel mit einem leisen Klacken wieder ins Schloss. Barri blickte sich um. Der Übungsraum war mit Holz ausgelegt, Gummimatten stapelten sich in einer Ecke, vor der Spiegelwand stand eine mechanische Waage, daneben ein Gestell mit Übungsschwertern und einigen hölzernen Bauernspießen. Von den Duschen im hinteren Teil des Raumes wehte ein leichter Modergeruch herüber und vermischte sich mit dem Duft von Holzpolitur und Massageöl.
Sie vermied es tunlichst, ihr Bild in der Spiegelwand zu betrachten, weil sie befürchtete, dass ihre widersprüchlichen Gefühle ihr allzu deutlich im Gesicht geschrieben stünden. Den Koffer ließ sie achtlos neben der Tür stehen, dann stieg sie langsam die Treppe empor, die zu Dylans Apartment führte.
Dort oben war alles von einer dicken Staubschicht bedeckt. Asche zu Asche, Staub zu Staub, dachte sie müde. Dylans Behausung wirkte verwahrlost und verlassen, man sah, dass ihr Bewohner schon lange verschwunden war. Ein staubiges Sofakissen lag auf dem Boden, Barri hob es auf, klopfte es aus und legte es auf seinen Platz
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