Die Rettung
den Stühlen zu beiden Enden des Tisches Platz. Dylan hob Sile auf seinen Schoß, da sie noch zu klein war, um in ihre Schüssel schauen zu können, was zu zahlreichen unvorhersehbaren Missgeschicken führen würde. Außerdem musste er, wenn er sich um seine Tochter kümmerte, nicht ständig in Sarahs waidwunde Augen sehen. Es war nicht seine Schuld, dass die Frau fast krank vor Liebe war, und ei konnte auch nichts dafür, dass der Zauber sich nicht wieder aufheben Heß, trotzdem plagte ihn sein schlechtes Gewissen. Die Jungen schwatzten angeregt miteinander, daher fiel es nicht so auf, dass die Erwachsenen sich anschwiegen. Dennoch beeilte sich Dylan, seine Schüssel zu leeren.
Nach dem Frühstück erhob er sich und band sich ein Leinentuch um die Stirn, damit ihm der Wind während der Arbeit nicht ständig das Haar ins Gesicht wehte. Natürlich hätte er sich das Haar auch kurz schneiden können, aber dann hätten die anderen Clansmänner hinter seinem Rücken über ihn getuschelt und seine Marotten einmal mehr auf seine amerikanische Herkunft zurückgeführt. Außerdem wärmte ihm das schulterlange Haar die Ohren. Trotzdem stutzte er die dunkle Mähne und seinen Bart regelmäßig und hielt beides so sauber wie mög-lieh, da er keinen Wert auf Läuse und andere lästige Besucher legte.
Er schlüpfte wieder in seinen Mantel, fütterte die Rinder mit dem Stroh, das vom letzten Dreschen noch übrig war, und holte einen Eimer frisches Wasser vom Bach. Dann musterte er den Sack mit dem Hafermehl, hob ihn prüfend an und beschloss, mit dem Dreschen der nächsten Getreidegarben noch etwas zu warten. In ein paar Wochen musste er mit dem Melken beginnen. Sarah würde die Milch zu Käse und Butter weiterverarbeiten und einen Teil der Erzeugnisse als Lohn für ihre Arbeit mit nach Hause nehmen, um ihn selbst zu verbrauchen oder weiterzuverkaufen.
Dylan schüttelte den Gedanken unwillig ab, da er plötzlich Cait vor sich sah, wie sie leise vor sich hinsummend am Feuer gesessen und in ihrem Butterfass gerührt hatte. Es passte ihm gar nicht, dass Sarah immer mehr von Caits Pflichten übernahm, aber er konnte nichts dagegen tun. Achselzuckend ging er weiter seiner eigenen Arbeit nach.
Sowie er im Haus alles erledigt hatte, nahm er seine Mistgabel, die hölzerne Schaufel und den schweren Holzhammer von ihren Haken und machte sich wieder auf ins Freie. Höchste Zeit, die Felder zu düngen. Er warf die Geräte in den zweirädrigen Holzkarren und spannte eines seiner Pferde davor. Das zottige weiße Tierchen, kaum größer als ein Pony, tänzelte unruhig hin und her, stampfte mit den Hufen, warf den Kopf hoch und versuchte, ein Stück Fleisch aus Dylans Oberschenkel zu beißen. Dylan strich ihm über die weiche Nase und sprach einige leise Worte auf Gälisch, bis das Pferd sich wieder beruhigte. Dann führte er es zu dem Komposthaufen hinüber, stach die Schaufel in die verrottenden Abfälle und begann, den Karren damit zu füllen.
Der Haufen war im Laufe des vergangenen Jahres beträchtlich angewachsen, und als Dylan die obersten Schichten abtrug, stieg ihm ein stechender Gasgeruch in die Nase. Das erste Mal wäre er bei dieser Arbeit beinahe umgekippt, aber inzwischen achtete er darauf, rasch ein Stück zur Seite zu treten und ein paarmal tief durchzuatmen, wenn die Übelkeit ihn zu überwältigen drohte.
Ab und an stieß er auf einen Rinder- oder Schafsknochen, den er aus dem Kompost fischte, auf den Boden legte, mit dem Hammer zermalmte und dann zu dem restlichen Dünger in den Karren schaufelte.
Der Karren war fast voll, und im Komposthaufen klaffte ein großes Loch, als Dylans Schaufel auf etwas Hartes traf, das mit einem hohlen Plock zerbarst. Er grunzte zufrieden. Da hätten wir dich ja. Schwungvoll beförderte er das Ding auf den Boden. Es rollte ein Stück zur Seite und blieb dann leicht wackelnd liegen. Angewidert blickte Dylan auf den menschlichen Schädel mit der zerdrückten Stirn hinab.
Es war der Schädel von Connor Ramsay, Caits erstem Ehemann - und ihrem Mörder -, weswegen Dylan Mühe hatte, ihm das Attribut »menschlich« zuzubilligen.
Sinann materialisierte sich plötzlich vor ihm und ließ sich auf dem Rand des Karrens nieder. Vermutlich hatte sie ihn schon eine ganze Weile beobachtet und just auf diesen Moment gewartet. Im Laufe der Jahre hatte sich Dylan daran gewöhnt, ständig von ihr bespitzelt zu werden, daher erschrak er nicht mehr, wenn die weiße Fee unvermittelt aus dem Nichts auftauchte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher