Die Rettung
die sie beide gestern aufgeführt hatten, noch ein bisschen verlegen war. Er verspürte wenig Lust, das heikle Thema anzuschneiden, wenn es nicht unbedingt sein musste. Trotzdem fühlte er sich verpflichtet, ihr noch einmal zu danken.
»Du hast gestern vermutlich meinen Kopf gerettet, als du mich in deine Kammer geholt hast. Wie kann ich das je wieder gutmachen?«
Sarah wandte den Blick ab. »Och, mir blieb ja gar nichts anderes übrig. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn du verhaftet worden wärst. Außerdem interessiert es mich nicht, was die englischen Schweine von mir denken.«
Dylan erwiderte nichts darauf. Er wusste nur zu gut, dass sich die Soldaten ihr gegenüber in Zukunft vermutlich viel mehr Freiheiten herausnehmen würden. Als tugendhafte Witwe hatten die Engländer sie mit so viel Respekt behandelt, wie sie einer schottischen Frau eben entgegenzubringen vermochten. Aber nun, da ihr Ruf nicht mehr makellos war, würde sie höchstwahrscheinlich zum Ziel derber Zudringlichkeiten werden.
Oder gar das Opfer einer Vergewaltigung. Während des letzten Aufstandes, als Dylan und die meisten Männer des Clans sich nicht im Tal aufgehalten hatten, war eine der Mägde aus der Burg unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Niemand sprach viel über Seonag, doch aus dem Wenigen, das ihm zu Ohren gekommen war, hatte sich Dylan zusammengereimt, dass die Rotröcke sie anscheinend missbraucht hatten. Es wurde gemunkelt, sie hätte daraufhin Selbstmord begangen. Zwar lag sie auf dem Kirchhof begraben, und Selbstmördern wurde für gewöhnlich ein kirchliches Begräbnis verwehrt, trotzdem hielt sich das Gerücht, sie hätte sich in ihrer Verzweiflung selbst erschossen. Dylan wusste nicht recht, was er von all diesem Gerede halten sollte. Nachdenklich stimmte ihn nur, dass in ihrem Fall niemand offiziell des Mordes bezichtigt worden war.
Sarah und er verfielen wieder in Schweigen, während sie zum oberen Tal hinaufstiegen. Dylan achtete darauf, sein linkes Bein nicht zu stark zu belasten. Er hasste es, in diesen leicht hinkenden Gang verfallen zu müssen. Sein Leben hing zu oft von seinem guten körperlichen Zustand ab. Jedes Anzeichen von Schwäche konnte ihn und die Seinen in Gefahr bringen. Sehnsüchtig wartete er auf den Sommer und auf wärmeres Wetter, das die Schmerzen ein wenig lindern würde.
Endlich ergriff Sarah wieder das Wort. »Es ist gut, dass du die Kinder bei dir behalten hast. Obwohl - es muss für einen Mann doch schwer sein, sie ganz alleine großzuziehen.«
Dylan ärgerte sich über die abwertende Bemerkung. Ziemlich schroff erwiderte er: »Ich konnte sie nicht bei Una lassen. In der Burg wären sie sicher gut aufgehoben gewesen, aber ich hätte sie kaum zu Gesicht bekommen, und das hätte ich nicht ertragen.« Er war aus der Zukunft in dieses Jahrhundert zurückgekehrt, um seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Freiwillig würde er sich nie von Ciaran und Sile trennen.
»Einen besseren Vater als dich könnten sich die beiden gar nicht wünschen.« Sarah sah ihm dabei tief in die Augen und er musste den Blick senken.
Seltsam berührt entgegnete er: »Die Kinder sind alles, was mir von Cait noch geblieben ist.« Die Worte waren kaum heraus, da wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Jetzt wandte Sarah den Blick ab. Dylan hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er brauchte mehr Zeit. Viel mehr Zeit. Vielleicht kam er irgendwann einmal über Caits Tod hinweg.
Den letzten Teil des Weges legten sie wieder schweigend zurück.
Sarah machte sich im Haus sofort an ihre Arbeit und Dylan ließ sein Morgentraining ausfallen, um sich um seinen Whisky zu kümmern. Er griff nach seinem Stab, verließ das Haus und folgte dem Lauf des Baches in den Wald hinein.
Letztes Jahr hatte er weniger Gerste ausgesät als in den Jahren zuvor und würde daher statt der üblichen drei Fässer uisge beatha nur zwei destillieren können. Allerdings würde sich der Einnahmeverlust erst in drei Jahren bemerkbar machen, denn erst dann wollte er die Erzeugnisse dieses Winters verkaufen. Nächstes Jahr konnte er die ersten drei Fässer anbieten; den ersten Whisky in Schottland, der länger als ein paar Monate im Fass gereift war, ehe er in Krüge und Flaschen abgefüllt auf den Markt kam.
Der schmale Pfad verlief neben dem Ufer des Baches, machte eine Biegung um den Wasserfall und endete an dem See, den dieser gebildet hatte. Dylan zwängte sich in die Büsche und folgte dem Bachlauf weiter. Dabei bemühte
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