Die Rettung
Bett sein sollen. Aber ich hörte ihn unten herumbrüllen und wollte sehen, was los war, also kroch ich aus dem Bett und schlich die Treppe hinunter, obwohl ich eine Scheißangst hatte.« Kopfschüttelnd sah er die Fee an. »Im Nachhinein denke ich, dass ich immer, wenn ich meinen Vater gesehen habe, entweder Angst vor ihm hatte oder ihn einfach nur widerlich fand.«
Er zuckte die Schultern. »Na ja, sie sagt ihm, sein Essen stünde auf dem Tisch bereit, und er nörgelt los, alles wäre ja eiskalt. Sie versichert ihm, dass sie es gerade erst aus der Küche geholt hat. Er schreit, sie soll die Klappe halten. Sie gehorcht. Dann geht er ins Esszimmer, und ich schaue vorsichtig um die Ecke der Wohnzimmertür. Er setzt sich an den Tisch, probiert und schmeißt den Teller quer durch das Zimmer. Ich mache mir vor Angst fast in die Hose, weil ich dachte, ich hätte irgendetwas angestellt und würde gleich eine ordentliche Abreibung beziehen.«
»Hat er dich denn auch geschlagen?«
Dylan zögerte. Bislang wusste außer ihm nur Cody über diese Dinge Bescheid. »Yeah. Aber er hat damit aufgehört, als ich groß genug war, um mich zu wehren.« Er holte tief Atem und blickte sich um, als fürchte er, belauscht zu werden, bevor er fortfuhr: »Und dann ging es richtig zur Sache. Mom kommt ins Wohnzimmer zurück, weil sie genau weiß, was gleich passiert. Er rennt ihr nach. Zack! hat sie die erste Ohrfeige weg. Er packt sie am Haar und schlägt ihr mit der Faust voll ins Gesicht. Sie fängt an zu weinen ... und ... nun ja, ich sitze die ganze Zeit einfach nur da und sehe zu.« Ein dicker Kloß bildete sich in Dylans Kehle, aber er zwang sich, ruhig weiterzusprechen. »Und er drischt immer weiter auf sie ein. Sie sagt schon längst nichts mehr und irgendwann sackt sie auf dem Boden zusammen. Dann fängt er an, sie zu treten. Mit voller Wucht. Und sie gibt keinen Mucks von sich. Sie hegt einfach nur da und er tritt auf sie ein.«
Sinann rümpfte angewidert die Nase und ließ ein abfälliges Schnauben hören.
»Endlich lässt er von ihr ab und kommt auf mich zu. Ich quetsche mich in die enge Lücke zwischen der Wand und den unteren Treppenstufen, weil ich genau weiß, dass er mir eine Tracht Prügel verpasst, wenn er mich sieht, weil ich schon längst schlafen soll. Aber er achtet gar nicht auf mich. Er geht ins Büro, torkelt da drin rum und kommt mit einem Revolver in der Hand wieder raus.«
»Was bitte schön ist ein >Revolver«
»Ach ja.« Dylan hob eine Faust und streckte Daumen und Zeigefinger vor. »Das ist eine Art Pistole, sie hat eine Trommel, in der die Patronen stecken und die sich dreht, nachdem man abgedrückt hat. So kann man mehrere Schüsse abgeben, ohne nachladen zu müssen.«
Die Fee machte große Augen. »Eine wunderbare Erfindung!«
Dylan warf ihr einen bösen Blick zu. »Ja, wirklich eine tolle Sache. Dad ging jedenfalls mit dem Ding ins Wohnzimmer zurück und ich sah, wie er meiner Mom den Lauf an die Schläfe hielt. Ich dachte, mir würde das Herz stehen bleiben. Beinahe hätte ich laut geschrien, aber ich traute mich nicht. Und dann drückte er ab. Es klickte. Die Kammer war leer. Er drückte wieder ab. Wieder Fehlanzeige. Das hat er sechsmal gemacht, bis er endlich kapierte, dass der Revolver nicht geladen war. Er schmiss ihn gegen die Wand und zerbrach dabei einen Bilderrahmen. Alles war voller Glas. Und dann fiel er auf die Couch und rührte sich nicht mehr.«
»Also hat dein Vater versucht, deine Mutter umzubringen?«, vergewisserte sich Sinann.
Dylan richtete sich auf und stieß die Mistgabel grimmig in den gefrorenen Boden, dann zuckte er die Schultern. »Vielleicht wusste er ja, dass der Revolver nicht geladen war. Ich wusste es jedenfalls nicht. Ich meine, ich war sicher, dass er Mom töten wollte, und ich hockte nur da und sah zu, ohne ihr zu helfen. Ich ließ ihn einfach gewähren!«
Die Fee runzelte die Stirn und sah ihn verständnislos an, dann erhellte sich ihr Gesicht. »Ach so ... du meinst, du hasst in Wahrheit dich selbst?«
»Ja, weil ich ihn nicht zurückgehalten habe.«
»Och, du warst doch noch ein kleiner Junge. Nicht älter als Ciaran. Und er war dein Vater. Egal, was er getan hat, er war dein Vater und der Herr im Haus. Ein Kind glaubt nie, dass der eigene Vater etwas Unrechtes tut.«
»Ich hasse ihn für das, was er getan hat. Was er mir angetan hat.«
Sinann schüttelte den Kopf. »Du darfst ihn nicht hassen.«
»Mein ganzes Leben lang habe ich mir gewünscht, ich
Weitere Kostenlose Bücher