Die Revolution der Ameisen
verliebt!«
Sie hatte einen großen Schminkkoffer mitgebracht und erwies sich als geschickte Maskenbildnerin, indem sie Julies hellgraue Augen durch farbenprächtige Vogelmotive perfekt zur Geltung brachte. Zum Schluß schmückte sie die schwarzen Haare ihrer Freundin mit einem funkelnden Diadem.
»Heute abend mußt du eine Königin sein.«
Narcisse betrat die kleine Garderobe. »Und ich habe für diese Königin ein fürstliches Gewand entworfen. Du wirst Kaiserin Joséphine, die Königin von Saba, Katharina die Große und Kleopatra mühelos in den Schatten stellen.«
Er entfaltete eine schillernde blaue Robe mit zarten weißen und schwarzen Mustern. »In deiner Enzyklopädie findet man auch Anregungen für eine neue Ästhetik, und deshalb sollst du die prächtigen Farben des Papilio Ulysses zur Schau tragen.
Diese Schmetterlingsart gibt es in den Wäldern von Neuguinea, aber auch im Norden von Queensland und auf den Salomon-Inseln.«
»Und was ist das?« Julie deutete auf zwei schmale Samtbänder, die eine Art Schleppe bildeten.
»Das sind die Schwanzspitzen des Schmetterlings, die seinem Flug besondere Anmut verleihen. Probier dein Kostüm schnell mal an.«
Julie zog Pulli und Rock aus. Sie genierte sich, daß ein Junge sie nur in Slip und BH sah, aber Narcisse beruhigte sie:
»Mich interessiert nur, ob es dir paßt. Ich bin immun gegen weibliche Reize, obwohl ich zugebe, daß ich viel lieber eine Frau wäre, weil ihre Körper auf die meisten Männer eine große Anziehungskraft ausüben.«
»Wärst du wirklich lieber eine Frau?« fragte Julie erstaunt, während sie sich rasch anzog.
»Einer griechischen Legende zufolge ist ein Orgasmus für Frauen neunmal genußreicher als für Männer. Wir sind in dieser Hinsicht sehr benachteiligt. Außerdem beneide ich die Frauen, weil sie schwanger werden können. Es muß ein aufregendes Gefühl sein, keimendes Leben in sich zu spüren, und diese Erfahrung bleibt uns Männern versagt.«
Julie hüllte sich in das weite blaue Gewand. »Es fühlt sich auf der Haut sehr angenehm an – weich und warm«, sagte sie anerkennend.
»Kein Wunder – diese Seide stammt von der Raupe des Ulysses-Schmetterlings. Man hat dem armen Geschöpf den Faden gestohlen, der für seinen Kokon bestimmt war, aber für dich hätte die Raupe dieses Opfer gern gebracht, davon bin ich überzeugt. Bei den Indianern war es üblich, einem Tier zu erklären, warum man es mit Pfeil und Bogen tötete –
beispielsweise, weil man seine Familie ernähren oder bekleiden mußte. Sollte ich einmal reich sein, werde ich eine eigene Seidenraupenzucht betreiben und jeder Larve erzählen, welchem Kunden sie ein so kostbares Geschenk macht.«
Julie betrachtete sich in dem großen Spiegel, der an der Tür angebracht war. »Dieses Kostüm ist wirklich fantastisch, Narcisse! Du solltest Modeschöpfer werden.«
»Ein Ulysses-Schmetterling für eine Sirene, das paßt doch großartig zusammen! Ich habe nie begriffen, warum Odysseus dem unwiderstehlichen Gesang dieser Mädchen nicht lauschen wollte.«
Julie zupfte an dem Gewand herum. »Danke für das Kompliment!«
»Es ist doch ganz normal, einer schönen Frau Komplimente zu machen. Hinzu kommt noch, daß deine Stimme einfach umwerfend ist. Sobald ich sie höre, überläuft es mich heiß und kalt. Nicht einmal die Callas könnte es mit dir aufnehmen.«
Julie lachte schallend. »Bist du wirklich ganz sicher, daß du dir nichts aus Frauen machst?«
Narcisse legte ihr seine Hände auf die Schultern. »Hast du noch nie etwas von platonischer Liebe gehört? Ich will nicht mit dir schlafen, und ich erwarte auch keine Gegenliebe. Mir genügt es, dich zu sehen und deine Stimme zu hören, um glücklich zu sein.«
Die anderen betraten die Garderobe, und Zoé nahm Julie in die Arme. »Na, so was, unsere Raupe hat sich tatsächlich in einen Schmetterling verwandelt, jedenfalls äußerlich …«
»Es handelt sich um eine exakte Kopie des Flügelmusters eines Ulysses-Schmetterlings«, erklärte Narcisse.
»Toll!«
Ji-woong griff nach Julies Hand. Ihr war schon in den letzten Tagen aufgefallen, daß alle Jungen der Gruppe sie unter irgendwelchen Vorwänden zu berühren versuchten, und das war ihr denkbar zuwider. Ihre Mutter hatte immer gepredigt, Menschen müßten genauso wie Autos einen gewissen Sicherheitsabstand voneinander einhalten, weil Nähe unweigerlich zu großen Problemen führe.
David massierte ihren Nacken und ihre Schultern. »Zur Entspannung«,
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