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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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sie Salzkörner lutschen, damit der Körper nicht zuviel kostbares Wasser ausschied.
    Ein viel größeres Problem war die fehlende Elektrizität, denn die Revolutionäre waren bei all ihren Aktivitäten auf das weltweite Informationsnetz angewiesen. Zum Glück fand man in den naturwissenschaftlichen Praktikumsräumen lichtempfindliche Solarzellen, die von Hobbytechnikern fachgerecht montiert wurden, so daß der Strombedarf wenigstens zum Teil gedeckt werden konnte. Zusätzlich wurden auf allen Zelten selbstgebastelte Windräder aus Brettern angebracht, und für den Fall, daß weder Sonne noch Wind zur Verfügung stünden, würden junge Männer an Fahrradgeneratoren kräftig in die Pedale treten müssen.
    Als der Kommissar ihnen auch noch die Telefone sperrte, bangte David wieder um sein ›Fragenzentrum‹, aber eine Revolutionärin stellte ihm sofort ihr besonders leistungsfähiges Mobiltelefon zur Verfügung, das weltweite Kontakte ermöglichte.
    In dieser schwierigen Situation war vor allem Einfallsreichtum gefordert. Völlig von der Außenwelt abgeschnitten, mußten sie in jeder Hinsicht improvisieren, und das schweißte die Gemeinschaft noch mehr zusammen. Um Strom zu sparen, wurden am Abend Kerzen und Laternen angezündet, die auf dem Schulhof eine romantische Atmosphäre schufen.
    Julie rief ihre Freunde zu einer Besprechung im Probenraum zusammen. Sie wirkte ungewöhnlich verlegen, räusperte sich und murmelte: »Ich möchte euch etwas fragen.«
    »Nur zu!« rief Francine.
    Julies Blick schweifte aufmerksam von einem Zwerg zum anderen: David, Francine, Zoé, Léopold, Paul, Narcisse, Ji-woong …
    »Liebt ihr mich?«
    Eine lange Stille folgte dieser seltsamen Frage, bis Zoé endlich mit leicht belegter Stimme antwortete:
    »Natürlich lieben wir dich! Du bist doch unser Schneewittchen, unsere Ameisenkönigin!«
    »Dann möchte ich euch um folgendes bitten«, fuhr Julie eindringlich fort. »Sollte ich mich zu sehr als Königin gebärden und mich viel zu wichtig nehmen, dann zögert bitte nicht, mich wie Julius Cäsar umzubringen.«
    Sie hatte kaum ausgesprochen, als Francine sich auch schon auf sie stürzte. Das war das Signal. Alle packten sie an Armen und Beinen, und Zoé tat so, als würde sie ihr ein Messer ins Herz stoßen. Und dann begannen alle sie zu kitzeln.
    »Nein, nicht!« schrie sie lachend und zappelte auf der Matratze herum, aber die Hände ihrer Freunde waren unerbittlich, und ihre Proteste wurden einfach überhört. Vor Lachen bekam sie kaum noch Luft; ihr tat schon alles weh, und trotzdem konnte sie nicht aufhören zu lachen.
    Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und sie wußte, warum sie keinen Hautkontakt ertragen konnte. Der Psychotherapeut hatte recht gehabt: Die Ursache lag in ihrer frühen Kindheit begründet.
    Sie sah sich als Kleinkind, erst sechzehn Monate alt und völlig wehrlos. Bei Familientreffen wurde sie von Arm zu Arm gereicht, so als wäre sie irgendein Gegenstand.
    Sie wurde gekitzelt, abgeküßt, gestreichelt und aufgefordert,
    ›Guten Tag‹ zu sagen. Julie erinnerte sich plötzlich an ihre Großmütter mit dem unangenehmen Mundgeruch und den dick geschminkten Lippen, die sich auf ihre zarte Haut preßten. Und ihre Eltern lachten zu all diesen Quälereien!
    Sie erinnerte sich auch an ihren Großvater, der sie auf den Mund küßte, ohne daß sie es ihm erlaubt hätte. Ja, seitdem war ihr jede Berührung zuwider geworden. Sobald ein Familienessen stattfand, verkroch sie sich unter dem Tisch und sang dort leise vor sich hin, und wenn man sie aus ihrem Versteck hervorholen wollte, wehrte sie sich mit Händen und Füßen. Unter dem Tisch fühlte sie sich geborgen, und am liebsten wäre sie dort geblieben, bis all diese aufdringlichen Leute fort waren, doch irgendwann wurde sie unweigerlich hervorgezerrt, damit die Verwandten ihr wenigstens noch einen Abschiedskuß geben konnten.
    Nein, man hatte sie nie sexuell mißbraucht. Nur ihre Haut war ständig mißbraucht worden!
    Das Spiel endete genauso plötzlich, wie es begonnen hatte, und die Sieben Zwerge setzten sich wieder im Kreis um ihr Schneewittchen herum, das sich die langen wirren Haare aus dem Gesicht strich.
    »Du wolltest doch, daß wir dich umbringen. Nun, das haben wir hiermit gemacht«, erklärte Narcisse.
    »Fühlst du dich jetzt besser?« fragte Francine.
    »Danke, ihr habt mir sehr geholfen. Wie sehr, könnt ihr gar nicht wissen. Zögert bitte nicht, mich oft zu ermorden.«
    Sofort fingen wieder alle

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