Die Revolution der Ameisen
auf als ein Kamel.«
Endlich entdeckte er das suspekte Bauwerk und betrachtete es durchs Fernglas. Die Bäume, die sich in den großen Spiegelplatten spiegelten, verbargen den Bau recht geschickt, aber eine Einzelheit war verräterisch: Auch die Sonne spiegelte sich darin. Zwei Sonnen. Eine zuviel.
Er trat näher heran.
Spiegel waren wirklich ausgezeichnete Tarnungsmittel. Nicht umsonst wurden sie auch von Zauberkünstlern verwendet, beispielsweise wenn Mädchen in Truhen stiegen, die dann mit Schwertern oder Lanzen durchbohrt wurden. Ein simpler optischer Trick.
Er holte sein Notizbuch hervor und schrieb sorgfältig auf: 1.
Untersuchung über die Pyramide im Wald a) Beobachtungen auf einige Distanz Er las durch, was er geschrieben hatte, und zerriß das Blatt.
Es handelte sich nicht um eine Pyramide, sondern um einen Tetraeder. Die Pyramide hat vier Seiten plus Grundfläche, also insgesamt fünf Flächen. Der Tetraeder hat drei Seiten plus Grundfläche, also insgesamt vier Flächen. Tetra ist das griechische Wort für vier.
Er berichtigte deshalb: 1. Untersuchung über den Tetraeder im Wald. Zu Maximiliens größten Stärken gehörte seine Fähigkeit, präzise zu beschreiben, was er wirklich sah, und nicht das, was andere zu sehen glaubten. Diese Gabe der Objektivität hatte ihn schon oft vor Fehlern bewahrt.
Zeichenkurse hatten diese Begabung zusätzlich gefördert.
Wenn man eine Straße sieht, ist man zunächst geneigt, zwei parallele Linien zu zeichnen, doch wenn man ›objektiv‹
wiedergibt, was man sieht, bewirkt die Perspektive, daß eine Straße – von vorne betrachtet – einem Dreieck gleicht, mit den beiden Rändern als Fluchtlinien, die sich am Horizont treffen.
Maximilien Linart betrachtete das Bauwerk abermals durchs Fernglas und wunderte sich über sich selbst, denn sogar ihm ging der Ausdruck ›Pyramide‹ nicht aus dem Sinn, wahrscheinlich, weil sich damit etwas Rätselhaftes und Ehrfurchtgebietendes verband. Er zerriß das Blatt.
Ausnahmsweise würde er auf absolute Genauigkeit verzichten, l. Untersuchung über die Pyramide im Wald a) Beobachtungen auf einige Distanz: circa drei Meter hohes Bauwerk, durch Büsche und Bäume getarnt.
Er machte eine Skizze, bevor er weiterging. Einige Meter von der Pyramide entfernt waren in der lockeren Erde Fuß- und Pfotenspuren zu sehen, die zweifellos von Gaston Pinson und seinem Hund stammten. Er zeichnete auch diese Spuren und umrundete sodann den Bau. Keine Tür, keine Fenster, kein Schornstein, kein Briefkasten. Nichts, was auf eine menschliche Behausung hindeutete. Nur Beton unter Spiegelplatten und eine durchsichtige Spitze.
Einige Schritte zurücktretend, betrachtete er die Konstruktion lange und sehr aufmerksam. Form und Proportionen waren ausgewogen. Wer auch immer diese Pyramide mitten im Wald errichtet haben mochte, hatte in architektonischer Hinsicht ein Meisterwerk geschaffen.
38. ENZYKLOPÄDIE
Goldene Zahl: Die goldene Zahl bezeichnet ein präzises Proportionsverhältnis, mit dessen Hilfe man bauen, malen und skulpturieren kann, wobei diesen Werken eine verborgene Kraft innewohnt.
Mit Hilfe dieser Zahl wurden die Cheopspyramide, der Tempel Salomos, das Parthenon und die meisten romanischen Kirchen erbaut. Auch bei vielen Renaissancegemälden wurden diese Proportionen eingehalten.
Angeblich ist jedes Bauwerk, das sich nicht dieser Zahl bedient, vom Einsturz bedroht. Man berechnet sie folgendermaßen: XXX = 1,6180335.
Das ist das jahrtausendealte Geheimnis. Diese Zahl ist aber kein Produkt der menschlichen Fantasie. Sie kommt auch in der Natur vor. Beispielsweise müssen die Blätter an einem Baum proportional gesehen diesen Abstand haben, um sich nicht gegenseitig durch Schatten zu behindern. Und diese Zahl bestimmt auch die Lage des Bauchnabels im Verhältnis zum ganzen menschlichen Körper.
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
39. NACH DEM VERLASSEN DES GYMNASIUMS
Die Schule war ein quadratisches Gebäude. Drei U-förmige Betonflügel und ein hohes, mit Rostschutzfarbe angestrichenes Metallgitter als vierte Seite des Quadrats.
Julie hoffte, daß die Flammen das ganze Bauwerk verzehren würden, das in ihren Augen Ähnlichkeit mit einem Gefängnis, einer Kaserne, einem Hospiz, einer Klinik oder einer Irrenanstalt hatte – kurz gesagt, mit einem jener quadratischen Orte, wo man Menschen isoliert, denen man möglichst selten auf der Straße begegnen will.
Das junge
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