Die Richter des Königs (German Edition)
stöhnte Henry auf und griff sich an die rechte Fessel. »Ich habe mir den Fuß verstaucht«, jammerte er. Jeremy kehrte zu ihm zurück und stützte ihn. »Wir müssen hier weg«, drängte er. Die Verfolger würden sich von der Mauer ebenso wenig aufhalten lassen wie sie. Schwerfällig humpelte der Lakai neben ihm her. Von einer schnellen Flucht konnte keine Rede mehr sein. Es blieb ihnen nur eine Wahl: Sie mussten sich verstecken. Jeremy bog in die erstbeste Seitenstraße ein und kurz darauf in die nächste, um ihre Verfolger zu verwirren. Sobald sich die Gelegenheit ergab, zerrte er Henry schließlich in den dunklen Winkel eines Hauseingangs und gebot ihm Schweigen. Bald hörten sie schnelle Schritte auf dem Kopfsteinpflaster widerhallen und hielten nervös den Atem an.
Erst als es ganz ruhig war, verließen sie ihr Versteck und machten sich auf den mühsamen Weg quer durch die Stadt zur Paternoster Row.
Am nächsten Morgen machte sich Jeremy schon früh zur Chancery Lane auf, um Sir Orlando von seinem Fund in Kenntnis zu setzen. Zu seiner Enttäuschung erklärte ihm jedoch die Magd, die ihm geöffnet hatte, dass Seine Lordschaft aufs Land gefahren sei, um einen Streit zwischen seiner Nichte und deren Ehegatten zu schlichten. Er würde erst am Abend zurückkehren.
Jeremy entfuhr ein Fluch, für den er sogleich der Heiligen Jungfrau demütig Abbitte tat. Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, allein zum König zu gehen, doch dann entschied er sich, auf Sir Orlandos Rückkehr zu warten. Die Nachricht allein würde Seiner Majestät als Beweis für Breandáns Unschuld nicht genügen. Sie war nur ein Hinweis auf die mögliche Anwesenheit einer dritten Person.
In der Zwischenzeit musste sich Jeremy seinen Pflichten widmen. Es war Sonntag. Nachdem er für die ihm anvertrauten Katholiken in Alans Haus die Messe zelebriert hatte, begab er sich ins Newgate, um dort wie üblich dasselbe zu tun. Da die Wächter Breandán nicht erlaubten, seine Zelle zur Teilnahme an der Messe zu verlassen, suchte Jeremy ihn danach noch einmal auf und reichte ihm das heilige Sakrament. Um ihm Mut zu machen, erzählte er ihm von seinem nächtlichen Abenteuer.
»Verzagt nicht, mein Sohn. Habt nur noch ein wenig Geduld. Ich hole Euch hier heraus, das verspreche ich.«
Breandán bemühte sich, ihm zu glauben. Doch es war nicht leicht, sich an dem Ort, an dem er sich befand, auch nur eine Spur von Hoffnung zu bewahren. Seit seiner Verurteilung erhielt er immer wieder Besuche von dem Gefängniskaplan, dem so genannten Ordinarius des Newgate, dem die Seelen der unglücklichen Häftlinge anvertraut waren. Hartnäckig versuchte der anglikanische Geistliche, den Iren von seinem römischen Irrglauben abzubringen und ihn zu einem Geständnis seines Verbrechens zu bewegen. Breandán stellte sich taub, doch dies schien den Ordinarius nicht zu entmutigen. Obgleich er von der Stadt bezahlt wurde, verdiente er nebenbei ein hübsches Sümmchen mit der Veröffentlichung von Geständnissen, die er drucken und am Tag der Hinrichtung der Verurteilten verkaufen ließ. So nahm er es übel, wenn ein Todgeweihter sich weigerte, ihm seine Lebensgeschichte zu offenbaren, und ihn damit um seinen Zusatzverdienst brachte.
Als Breandán den Ordinarius schließlich gereizt anschrie, er solle ihn endlich in Ruhe lassen, drohte ihm dieser mit der ewigen Verdammnis. Wieder allein, zitterte der Ire noch eine ganze Weile vor grenzenloser Wut und verfluchte den Kaplan. Dank Jeremys Zuwendung fühlte sich Breandán in seinem Glauben gestärkt, doch er dachte mitleidig an die verurteilten Protestanten, die in ihrer schwersten Stunde einem Geistlichen ausgeliefert waren, der ihnen aus Geldgier Geständnisse abpresste, anstatt ihnen beizustehen.
Die Todgeweihten hofften an diesem letzten Tag vor ihrer Hinrichtung vergeblich auf ein wenig Ruhe und Frieden, um ihre Ängste zu meistern. Sie waren der Glanzpunkt der traditionellen Sonntagspredigt. Obgleich er sich heftig sträubte, schleppte man auch Breandán mit Gewalt in die Gefängniskapelle. Und wie er bald mit Abscheu feststellte, geschah dies nicht in der Sorge um sein Seelenheil, sondern um die Taschen der Schließer zu füllen, die Neugierigen von der Straße gegen ein Eintrittsgeld gestatteten, sich am Anblick der Verurteilten zu ergötzen wie an wilden Tieren, die man im Käfig vorführte. Unzählige Schaulustige drängten sich in der kleinen Kapelle, so dass diejenigen Gefangenen, die aus Frömmigkeit dem
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