Die Richter des Königs (German Edition)
hindurchschieben zu können. Breandán streckte seine Rechte so weit wie möglich hinaus und versuchte, einen Hauch der leichten Brise einzufangen, die draußen vorbeiwehte, ohne Eingang in das verpestete Innere des Gefängnisses zu finden. Die Sehnsucht nach frischer Luft, nach Sonne und Himmel quälte ihn, seit er vor drei Wochen zwischen den unüberwindlichen Mauern des Newgate eingekerkert worden war. Er, der die meiste Zeit seines Lebens kein festes Dach über dem Kopf gekannt hatte, litt unsäglich unter diesem Eingesperrtsein. Immer wieder befiel ihn eine quälende Unruhe, wenn die Muskeln seines Körpers gegen die erzwungene Untätigkeit rebellierten und er sich Bewegung verschaffen musste, bis ihn Erschöpfung überkam. Von einem animalischen Instinkt getrieben, hatte er jeden Zoll seiner Zelle nach einem Fluchtweg untersucht. Besondere Aufmerksamkeit hatte er dabei dem offenen Kamin gewidmet, der so gewaltig war, dass ein Mann aufrecht darin stehen konnte. Vielleicht gelang es ihm, durch den Abzugsschacht hinauf aufs Dach zu klettern. Von dort wäre es dann ein Leichtes, auf das Dach des Nachbarhauses zu springen und sich davonzumachen. Das einzige Hindernis waren zwei in einiger Höhe angebrachte Gitterstäbe, die zu eng beieinander lagen, als dass sich auch nur ein Kind hätte hindurchpressen können. Doch das Torhaus war alt, und sein Mörtel mochte gerade an dieser Stelle morsch sein. Breandán verbrachte den ganzen Nachmittag damit, in den Kaminabzug hinaufzuklettern und mit einem Glied seiner Ketten rund um die Eisenstäbe den Mörtel aus den Fugen zu kratzen, um sie so weit zu lockern, dass er sie herausreißen konnte. Doch schließlich musste er unverrichteter Dinge aufgeben. Offenbar hatten schon andere Gefangene versucht, auf diesem Wege zu entkommen, denn der Mörtel zeigte deutliche Spuren einer gründlichen Ausbesserung und war ohne schweres Werkzeug nicht aufzubrechen. Zu Tode erschöpft, mit zerschundenen Händen, Ellbogen und Knien, ließ sich Breandán auf das Bett sinken und schloss besiegt die Augen. Es blieb ihm keine andere Wahl, als zu warten, bis er am nächsten Morgen den Kerker für immer verlassen würde, um entweder begnadigt oder aber gehängt zu werden.
Er ruhte nicht lange. Schon bald trieb ihn seine Rastlosigkeit wieder auf die Füße. Seine blutverkrusteten Hände rüttelten grimmig an den Gittern des Fensters, die ihn von der Freiheit trennten. Die Freiheit! Wie sehr hatte er sich stets danach gesehnt. In seinem ruhelosen Leben war sie das einzige Gut gewesen, das er je besessen hatte. Und nun hatte man ihm auch das genommen.
Ein paar Mal schlug er die Stirn gegen die Eisenstäbe, um seine Verzweiflung zu betäuben. Sosehr es ihn auch danach verlangte, den Kerker im Morgengrauen endlich verlassen zu können, selbst wenn es bedeutete, den Weg nach Tyburn einzuschlagen, so sehr fürchtete er sich vor dem Einbruch der Dämmerung, die seine letzte Nacht auf dieser Erde einläuten würde. Er wünschte sich, dass endlich alles vorbei und er erlöst wäre, doch zugleich verspürte er eine kopflose Panik bei dem Gedanken, wie schnell seine Zeit ablief.
Als die Schlüssel in den Schlössern seiner Zellentür knirschten, fuhr Breandán kampflustig herum. Wenn dieser Kaplan des Teufels es noch einmal wagen sollte, ihn anzusprechen, würde er ihn mit einem kräftigen Tritt in den Arsch hinauswerfen! Doch im nächsten Moment krampfte sich ihm vor Freude der Magen zusammen, als er Amoret hinter dem Schließer eintreten sah.
»Wenn Ihr versprecht, keinen Ärger zu machen, lasse ich Euch für heute Nacht die Ketten abnehmen«, bot ihm der Wächter an.
»Ich verspreche es«, antwortete Breandán ohne Zögern.
Ein Gehilfe schlug ihm die Hand- und Fußketten ab. Bevor der Schließer die Tür zuzog, sagte er zu Amoret: »Ich werde Euch bei Morgengrauen wieder herauslassen.«
Kaum waren sie allein, als sie sich stumm in die Arme fielen. Breandán hatte nicht zu hoffen gewagt, dass er sie vor seiner Hinrichtung noch einmal wiedersehen würde. Sie hätte nicht herkommen, hätte sich nicht noch einmal diesem schrecklichen Ort aussetzen sollen, aber er war überglücklich, dass sie da war und dass er diese furchtbarste aller Nächte seines Lebens nicht allein verbringen musste.
Nach einer Weile fragte er hoffnungsvoll: »Hast du Neuigkeiten von Pater Blackshaw?«
Doch Amoret schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Ich habe ihn seit seinem Aufbruch in Deanes Haus gestern Abend nicht mehr
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