Die Richter des Königs (German Edition)
ich Euch ebenso gut eine Kugel durch den Kopf schießen. Und das wäre noch ein gnädigerer Tod, als unter diesen grauenhaften Umständen zu verrecken!«
Schrecken und Todesangst saßen so tief in ihm, dass er sich nicht mehr gegen sie wehrte. Widerstandslos ließ er sich ins Innere der Kutsche schieben und sank auf der Sitzbank zusammen. Sein Körper zitterte vor Kälte, obwohl die Julihitze drückend über der Stadt lag.
Amoret hatte dem Kutscher Anweisung gegeben, zur Paternoster Row zu fahren. Als sie vor der Chirurgenstube hielten, nahm Jeremy sich noch einmal zusammen und zwang sich zu einem schwachen Lächeln.
»Ihr müsst jetzt wirklich die Stadt verlassen, Madam. Bleibt keinen Tag länger hier, bitte, versprecht mir das!«
»Ich helfe Euch ins Haus«, antwortete Amoret ausweichend.
»Nein, das schaffe ich schon. Es sind ja nur ein paar Schritte. In der Offizin habe ich Arzneien, die mir sicher helfen werden.«
Voller Sorge sah sie ihm nach, wie er die Kutsche verließ und sich schwerfällig zur Tür der Chirurgenstube schleppte. Jeremy blickte nicht zurück, obwohl ihm das Herz wehtat, sie mit einer Lüge gehen lassen zu müssen. Vielleicht hätten ihm die Arzneien, die er ihr gegenüber erwähnt hatte, tatsächlich geholfen, doch er hatte ihr wohlweislich verschwiegen, dass sie ihm schon vor Tagen ausgegangen waren. Er konnte nichts anderes tun, als sich der Gnade Gottes auszuliefern.
Die Werkstatt war verlassen. Jeremy nahm es kaum wahr. Sein Kopf zersprang ihm vor Schmerzen, vor seinen Augen verwischte alles, und die Muskeln seines Körpers waren fast unbrauchbar und wollten ihm kaum noch gehorchen. Ein Frösteln ließ ihn erbeben. Er wusste nicht, wie es ihm gelang, die Treppe zu erreichen und in den ersten Stock hinaufzusteigen. Die Anstrengung ließ sein Herz wild in seiner Brust schlagen. Auf halbem Weg in den zweiten Stock versagten ihm seine Beine den Dienst. Alles begann sich um ihn zu drehen, schneller und schneller, ein höllisches Karussell, das ihn in die Tiefe zog. Verzweifelt tastete er nach einem Halt, klammerte sich an die Treppenstufen. Über sich sah er die erschrockenen Gesichter des Gesellen und der Magd, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Dann fiel er in einen schwarzen Abgrund.
Siebenundvierzigstes Kapitel
J eremy durchlebte einen grässlichen Albtraum, der nicht enden wollte. Der rote Drache, den Johannes in der »Offenbarung« beschrieben hatte, hielt ihn in seinen Krallen und hüllte ihn in seinen feurigen Atem. Wie von Sinnen wehrte er sich gegen das Ungetüm, lechzte nach Erlösung von dem Flammenregen, der auf ihn niederging. Unstillbarer Durst verzehrte ihn, verbrannte ihm die Kehle. Da berührte etwas Kühles, Feuchtes seinen erhitzten Körper, erstickte das Feuer und brachte ihm Erleichterung. Der Drache verschwand, zog sich zurück in eine Ecke, in der er auf den nächsten Angriff lauerte.
Das Gesicht eines grauhaarigen Mannes erschien vor ihm. Ein Gesicht, das ihm flüchtig bekannt vorkam, das er aber nicht einordnen konnte. Irgendwo hatte er ihn schon einmal gesehen, aber wo? Der Mann blickte ihn fragend an und sagte: »Weshalb habt Ihr mich rufen lassen?« Jeremy schüttelte wild den Kopf. Da war etwas, an das er sich erinnern musste, etwas sehr Wichtiges! Angestrengt versuchte er nachzudenken, doch alles entglitt ihm, und dann war der Drache wieder da und ließ seinen brennenden Atem über seinen Körper fauchen. Von Entsetzen ergriffen, warf sich Jeremy aus dem Bett und versuchte zu fliehen. Die Bestie setzte ihm nach, riss ihm die Beine weg und brachte ihn zu Fall. Wieder wehrte er sich mit aller Kraft, versuchte, das Gewicht abzuschütteln, das sich auf ihn warf. Jemand zerrte an seinen Armen und Beinen. Er konnte sie nicht mehr bewegen, sosehr er sich auch bemühte. Nun war er den Angriffen des Untieres hilflos ausgeliefert.
Zischend und geifernd fiel es über ihn her, riss sein riesiges Maul auf und grub seine fürchterlichen Fänge in seine Leiste, zerfleischte ihm das Bein. Er schrie, schrie vor unerträglicher Qual. Etwas berührte seine Lippen, rieselte seine Kehle hinab und breitete sich wohltuend in seinem Körper aus. Die Schmerzen ließen nach, Wellen der Betäubung fluteten über ihn hinweg, trugen ihn mit sich … und der Drache verwandelte sich in ein gackerndes Huhn.
Ein Geräusch drang an seine Ohren, ein eintöniges dunkles Läuten, das nur kurz verstummte, um dann erneut zu erklingen. Er lauschte eine ganze Weile, und
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