Die Richter des Königs (German Edition)
»Sie bereitete Euch furchtbare Schmerzen. Ihr habt geschrien, wenn man sie nur leicht berührte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, doch zum Glück kam Pater Lusher, um nach Euch zu sehen. Er sagte, die Beule müsse aufgeschnitten werden, wenn sie sich nicht von selbst leerte. Er gab Euch Theriak, ein altbekanntes Pestmittel, an dessen Wirkung Ihr nicht glaubt, wie er zugab. Aber da Theriak Mohnsaft enthält, befreite er Euch zumindest von den Schmerzen.«
»Ich erinnere mich, ein Huhn gackern gehört zu haben.«
»Ja, das war auch eins seiner Heilmittel. Er band eine lebende Henne mit dem Hinterteil auf dem Geschwür fest. Ich hatte ein wenig Angst, es könnte Euch schaden, aber er schwor, dass Ihr diese Behandlung auch einmal angewendet hättet und dass sie wirkte.«
Jeremy lächelte schwach.
»Bevor Pater Lusher die Beule aufschnitt, gab er Euch das Sakrament und die Letzte Ölung, denn er hatte Angst, Ihr könntet daran sterben«, fuhr Amoret fort. »Ihr habt auch viel Blut verloren, aber danach wart Ihr ruhiger. Von da an habt Ihr nur noch geschlafen. Es war der siebte Tag Eurer Krankheit, und Pater Lusher sagte, das sei ein gutes Zeichen, weil die meisten vorher sterben. Ich habe für Euch gebetet, und meine Gebete sind erhört worden.«
Sie verließ den Raum, um ihm etwas zu essen zu holen. Jeremys Gedanken begannen wieder um den grauhaarigen Mann zu kreisen, den er in seinem Traum gesehen hatte. Als Amoret mit einer Schale warmer Fleischbrühe zurückkehrte und sie ihm an die Lippen hielt, verblasste das Gesicht des Mannes, und er vergaß, sich weiter über dessen Namen den Kopf zu zerbrechen. Kurz darauf fiel er wieder in einen betäubungsähnlichen Schlaf.
Als er das nächste Mal erwachte, begann erneut das Gefühl, etwas Wichtiges tun zu müssen, in ihm zu nagen. Eine ganze Weile lag er da und grübelte, und plötzlich gelang es ihm, einen Gedankenfetzen zu fassen und festzuhalten. Er wandte den Kopf zu Amoret, die bei ihm wachte, und bat ohne Überleitung:
»Holt mir Mistress Brewster, ich muss sie fragen, wer ihr gesagt hat, dass Breandáns Mutter aus Wales stammt.«
In den Blick, mit dem sie ihn streifte, trat ein Ausdruck der Bestürzung. »Mistress Brewster ist tot, Pater. Eines Tages klagte sie über Kopfschmerzen und Übelkeit. Zwei Tage später starb sie. Es ging so schnell, dass es einem Angst machte.« Jeremy sah, wie sich ihre Augen unter dem Eindruck einer schrecklichen Erinnerung weiteten. »Die Pflegerin, die der Kirchenvorsteher geschickt hatte, benachrichtigte den Wächter, und bald kamen die Beschauer, die feststellen sollten, woran sie gestorben war. Sie zerrissen ihre Kleider und suchten nach den Pestzeichen. Dann riefen sie die Siechknechte, die den Totenkarren fuhren. Sie kamen ins Haus und bohrten ihre langen Haken in die zerfetzten Kleider, weil sie sich fürchteten, die Leiche mit den Händen zu berühren. Sie schleiften sie hinter sich her die Treppe hinunter … ihr Kopf schlug auf jeder Treppenstufe auf … mit einem schrecklichen dumpfen Laut … und dann warfen sie sie auf den Karren zu den anderen wie ein Stück Vieh …«
Amoret versagte die Stimme. Jeremy ergriff energisch ihre Hände und drückte sie mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, um sie den grauenhaften Erinnerungen zu entreißen, die in ihr aufgestiegen waren. Er hatte sie immer nur als starke, fröhliche Frau gekannt, die nichts erschüttern konnte, doch jetzt sah er zu seinem Kummer, dass die schrecklichen Dinge, die sie in den letzten Wochen erlebt haben musste, sie unwiderruflich gezeichnet hatten. Nie wieder würde sie völlig unbeschwert leben können – und das war seine Schuld. Er hatte nicht begriffen, wie viel er ihr bedeutete. Er hätte wissen müssen, dass sie ihn unter keinen Umständen im Stich lassen würde. Es war töricht und selbstsüchtig von ihm gewesen, zu glauben, dass es genügte, sie wegzuschicken. Manch anderer wäre der Aufforderung vermutlich erleichtert gefolgt, sie aber war geblieben. Er hatte ihren Mut und die Tiefe ihrer Freundschaft gründlich unterschätzt.
Bald erlangte Amoret ihre Fassung zurück und begab sich in die Küche, um Jeremy einen Kräutertrank zuzubereiten. Es beeindruckte ihn, wie wenig es ihr ausmachte, die unangenehme Arbeit zu erledigen, die die Versorgung eines Schwerkranken mit sich brachte und die sie ohne weiteres der Pflegerin hätte überlassen können. Doch die in abgerissene Lumpen gekleidete alte Frau stammte aus den Rängen der
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