Die Richter des Königs (German Edition)
hätte sie gerne durch eine Abschaffung der Strafgesetze belohnt. Doch er war kein allmächtiger König und konnte sich seinem Parlament gegenüber, das Glaubensfreiheit ablehnte, nicht durchsetzen, ohne seinen Thron in Gefahr zu bringen. Und so konnten sich die katholischen Priester, die zu der Zeit, in der dieser Roman spielt, in England lebten, zwar für den Moment in Sicherheit wiegen, mussten aber jederzeit damit rechnen, dass eine Staatskrise, die die Macht des Königs schwächte, schlagartig alles ändern konnte, wie dies auch einige Jahre später geschah.
Unter den Priestern nahmen die Jesuiten einen besonderen Platz ein. Selbst in katholischen Ländern genossen sie einen schlechten Ruf, galten als machthungrig und verschlagen. Man neidete ihnen den Einfluss, den sie an den Höfen der Fürsten besaßen, und dichtete ihnen die furchtbarsten Verbrechen und geradezu übermenschliche Kräfte an. In England wurden sie so zu einem gefürchteten Schreckgespenst. Sie kamen jedoch nur als Seelsorger nach England. Es war ihnen ebenso wie den Seminaristen untersagt, sich in die Politik einzumischen. Die moderne Forschungsliteratur ist sich darüber einig, dass sich die Priester bis auf wenige Ausnahmen auch an diese Regel hielten.
Die europäische (akademische) Medizin war im 17. Jahrhundert auf dem absoluten Tiefpunkt. Die schlimmsten Folgen hatten die mangelhafte Hygiene von Wundärzten und Hebammen, die oft zu tödlichen Infektionen führte, und die Rosskuren, denen man Gesunde wie Kranke unterzog. Die damalige Medizin stützte sich jahrhundertelang auf das antike Konzept der Viersäftelehre oder Humoralpathologie, das auf Hippokrates und Galen zurückging. Nach dieser Theorie entstand Krankheit durch ein Ungleichgewicht (Dyskrasie) der vier Kardinalsäfte des Körpers: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, die wiederum ihre Entsprechung in den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft fanden. Um das Gleichgewicht und damit die Gesundheit wieder herzustellen, musste der überschüssige bzw. durch Gifte verdorbene Saft aus dem Körper abgeleitet werden. Dies geschah durch Aderlass, Abführmittel, Schwitzkuren, Brechmittel oder sogar durch Niesen. Das System entbehrte nicht einer gewissen Logik, weshalb es sich wohl bis ins 19. Jahrhundert hielt. Zum Beispiel glaubte man, dass Schleim im Gehirn gebildet wird und während eines Schnupfens von dort abfließt. Dass die Belastung eines ohnehin geschwächten Patienten durch Blutentzug oder starke Brechmittel für diesen fatal sein konnte, wurde zwar von einzelnen Ärzten und Chirurgen immer wieder warnend betont, an den Universitäten galten die Lehren Galens jedoch als unantastbar. Nur so lässt sich erklären, weshalb selbst ein absoluter Monarch wie Ludwig XIV. es kritiklos zuließ, dass die Ärzte der Medizinischen Fakultät in Paris nacheinander fast die gesamte königliche Familie auslöschten.
Die Medizin außereuropäischer Länder, vor allem des arabischen und asiatischen Raums, galt als fortschrittlicher, obwohl auch dort seit dem Mittelalter ein Niedergang stattgefunden hatte. Allerdings wurde auf Hygiene größerer Wert gelegt.
Die beiden Infektionskrankheiten, die im Mittelpunkt des Romans stehen, die Pest und das Fleckfieber, waren neben den Pocken die großen Schrecknisse der Zeit. Die Pest, eigentlich eine Krankheit der Nagetiere, war seit dem Mittelalter wegen ihrer hohen Sterblichkeitsrate (50–80 %) gefürchtet. Sie trat aber gewöhnlich in Epidemien auf, während das Fleckfieber in den Armenvierteln der Städte ständig präsent war. Die Große Pest von 1665 war der letzte große Ausbruch in England. Die offizielle Statistik für London gibt 70 000 Todesfälle an, die meisten Historiker gehen jedoch eher von 100 000 Opfern aus. (Noch heute kann man die Zeugnisse des großen Sterbens in London mit eigenen Augen besichtigen. Bei vielen Kirchen besteht nach wie vor ein auffälliger Höhenunterschied zwischen Kirchhof und Kirchengebäude, weil die Pesttoten auf den Kirchhöfen so hoch gestapelt und nur mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt worden waren.) Die Bevölkerung erholte sich allerdings sehr schnell von dem Verlust, vor allem durch Zuzug vom Land, so dass London in wenigen Jahren wieder seine ursprüngliche Einwohnerzahl erreichte. Als im Winter 1665/66 die Pestfälle zurückgingen, kehrten auch Charles II. und der Hof aus Oxford nach London zurück. Die Ärzte und die Priester der anglikanischen Staatskirche, die vor der Pest aus
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