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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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das dieser zwar mit anderen Gefangenen teilen musste, das aber mit anständigen Betten, einem Tisch und Stühlen möbliert war, las Jeremy regelmäßig die Messe.
    »Wie viel zahlt Ihr für das Zimmer?«, fragte Alan neugierig.
    »Drei Pfund, sechs Shilling und acht Pence die Woche. Ein Zimmer im Presshof, dem besten Quartier hier im Newgate, kostet bis zu dreißig Guineen«, antwortete der Kaufmann, der wegen Schulden in Haft war. Dies diente nicht der Strafe, sondern sollte verhindern, dass er sich davonmachte. Er durfte das Gefängnis erst verlassen, wenn er alle seine Gläubiger bezahlt hatte. Dass er keine Möglichkeit besaß, das nötige Geld zu verdienen, solange er sich in Haft befand, war den Gläubigern bewusst. Doch man war der Meinung, dass der Schuldner sich bemühen müsse, von Freunden oder Verwandten ausgelöst zu werden. Bis dahin nutzte der Kaufmann den Rest seines Geldes, um sich ein angenehmeres Quartier zu leisten.
    Die Frau des Kaufmanns war mit ihren Kindern ins Gefängnis gekommen, um an der Messe teilzunehmen. Manchmal blieb die Familie auch über Nacht. Im Newgate konnte man sich mit einem kleinen Trinkgeld so gut wie jedes Privileg erkaufen.
    Als sich die Katholiken unter den Gefangenen unauffällig eingefunden hatten, hörte Jeremy Beichten und zelebrierte die Messe. Danach verwandelte man den Altar wieder in einen einfachen Tisch und verstaute die silbernen Kerzenleuchter, den Kelch und den Hostienteller in ihrem Versteck unter dem Kamin. Das Messgerät wurde nicht, wie in früheren Zeiten, versteckt, weil der Besitz in England verboten war, denn der Kerkermeister war gegen ein Bestechungsgeld bereit, das »papistische« Ritual zu dulden. Man wollte lediglich verhindern, dass es gestohlen wurde.
    Nachdem Jeremy Altarstein, Stola und Kruzifix in seine Taschen zurückgesteckt hatte, fragte er mit einem auffordernden Blick in die Runde: »Ich suche einen Mann namens McMahon. Weiß jemand, wo ich ihn finden kann?«
    »Ich glaube, ich weiß, wen Ihr meint, Pater«, sagte eine Frau. »Ein junger Ire, der zu Mariä Himmelfahrt hergebracht wurde.«
    »Ja, ein verrückter irischer Hitzkopf!«, erinnerte sich ein anderer. »Hat getobt wie ein Irrer, als die Wärter ihn nach Asche durchsuchten. Als sie nichts fanden, überließen sie ihn den anderen Gefangenen. Die sind schlimmer als die Wärter. Ihr wisst ja, was mit Neuankömmlingen passiert, die kein Schmiergeld bezahlen können, Pater. Sie fielen über ihn her, rissen ihm die Kleider herunter und gerbten ihm tüchtig das Fell. Man sollte meinen, das hätte sein Mütchen gekühlt, aber Pustekuchen! Zwei Tage später fing er mit einem der Wärter Streit an und ging ihm an die Gurgel – trotz seiner Ketten. Wenn die Häftlinge nicht dazwischen gegangen wären, hätte er ihm das Licht ausgeblasen. Ihr könnt Euch vorstellen, was dann folgte. Die Wärter haben ihn zusammengeschlagen und ins tiefste Loch geworfen. Wenn er noch nicht krepiert ist, findet Ihr ihn dort.«
    Jeremy führte Alan auf die andere Seite des Newgate, wo diejenigen Gefangenen, die sich keine Vergünstigungen leisten konnten, untergebracht waren. In den meisten Abteilungen waren mehr als dreißig Menschen in einem Raum zusammengepfercht. Sie mussten sich zu mehreren eine Holzpritsche teilen, in Hängematten oder auf dem Fußboden schlafen.
    Als Jeremy und Alan an der Küche des Henkers vorbeikamen, stieg ihnen ein Übelkeit erregender Geruch in die Nase, der noch abstoßender war als die ohnehin schlechte Luft im Gefängnis.
    »Hier kocht Jack Ketch die Köpfe und Gliedmaßen der Gevierteilten in Pech, bevor sie auf der London Bridge aufgespießt werden«, erklärte Jeremy. »Das soll verhindern, dass die Krähen das Fleisch von den Knochen picken.«
    Überall streunten struppige Hunde und Katzen umher. Einige Häftlinge hielten sich sogar Schweine und Geflügel.
    Nachdem sie die Abteilungen der Schuldner hinter sich gelassen hatten, gelangten sie durch einen finsteren Gang, der von einer einzigen Fackel erhellt wurde, in die unteren Verliese. Der feuchte Boden war mit fauligen Binsen bedeckt, und hier und da leuchteten die Augen einer nach Speiseresten wühlenden Ratte auf. Bei jedem Schritt knackte es unter den Schuhsohlen, und als Alan sich vorbeugte, um im Halbdunkel besser sehen zu können, bemerkte er, dass der Boden vor Läusen und anderen Kriechtieren wimmelte.
    Bald waren die Besucher umringt von ausgemergelten Gestalten, die bettelnd schmutzstarrende Hände zu ihnen

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