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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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wollte wissen, ob ich den Degen genommen hätte. Ich antwortete ihm, dass ich keine andere Wahl hatte, weil ich bedroht wurde.«
    »Verstehe«, meinte Jeremy nachdenklich. »Es sieht so aus, als wollten sich die Männer an dir rächen. Vermutlich haben sie dem Friedensrichter eine ganz andere Geschichte erzählt und behauptet, du hättest sie bestohlen. Gibt es irgendwelche Zeugen des Streits, die deine Aussage bestätigen können?«
    »Nein, ich war mit den dreien allein auf der Straße.«
    »Ich werde versuchen, Näheres über die Anklage zu erfahren. Vielleicht kann ich dir helfen.«
    Die blauen Augen des jungen Mannes richteten sich verwundert auf Jeremy.
    »Warum tut Ihr das, Pater? Ich werde Euch die Ausgaben nie zurückzahlen können. Ich besitze nichts.«
    »Hast du keine Freunde oder Verwandten, die dich unterstützen könnten?«
    »Ich bin erst seit einem halben Jahr in England. Ich habe zwar in Whitefriars gewohnt, weil ich kein Geld für eine bessere Unterkunft hatte, aber ich gehöre nicht zu den Gaunern und Strolchen, die dort leben. Sie werden mir nicht helfen.«
    »Du bist erst ein halbes Jahr hier, sagst du, und trotzdem bereits einmal verurteilt worden«, bemerkte Jeremy ironisch, während er Breandáns linke Handfläche nach oben drehte, so dass das in den Daumenmuskel eingebrannte Mal sichtbar wurde. Es zeigte, welches Verbrechen der Träger begangen hatte: in diesem Fall Totschlag.
    »Eine Prügelei«, erklärte Breandán. »Der andere fiel so unglücklich gegen eine Mauerkante, dass er starb. Das war vor drei Monaten.«
    »Hat man dir im Gefängnis geraten, das Vorrecht des Klerus in Anspruch zu nehmen?«
    »Ja, sie sagten, es würde mich vorm Galgen retten.«
    Das Vorrecht des Klerus war ein gesetzlich sanktioniertes Schlupfloch für Kapitalverbrecher, das auf das alte Privileg der Kleriker zurückging, von einem kirchlichen Gericht anstatt von einem weltlichen abgeurteilt zu werden. Da die Kirche keine Blutgerichtsbarkeit ausüben durfte, wurden die Schuldigen lediglich in der Hand gebrandmarkt, um zu verhindern, dass sie das Privileg ein zweites Mal in Anspruch nahmen. Über die Jahrhunderte weitete sich dieses Vorrecht auf die kirchlichen Schreiber und schließlich auf alle diejenigen aus, die lesen konnten. Dazu wurde vor Gericht ein Lesetest verlangt.
    »Kannst du lesen?«, fragte Jeremy. »Oder hat man dich den einundfünfzigsten Psalm auswendig lernen lassen?«
    Um auch den Schriftunkundigen die Chance zu geben, sich vor dem Strang zu retten, wurde der Lesetest nicht streng gehandhabt. Es war sogar üblich, dass der Gefängniskaplan dem Verurteilten die Worte des so genannten »Halsverses« vorsagte. Diese scheinbar widersinnige Tradition verhinderte, dass ein Mensch wegen eines Diebstahls sein Leben verlor, wie es das unbarmherzige Gesetz eigentlich vorsah. Gefährliche Verbrecher wie Mörder und Straßenräuber waren von dem Privileg ausgenommen.
    »Du kannst mir in einer anderen Sache helfen«, sagte Jeremy schließlich. »Erinnerst du dich an die Nacht vor Sankt Oswald, als du in der Little Sheer Lane unterwegs warst? Du hast kurz mit einem betrunkenen Mann gesprochen, der in einem Hauseingang lag. Er trug feine Kleidung, einen langen Mantel und eine blonde Perücke.«
    Breandán brauchte nicht lange zu überlegen.
    »Ja, ich erinnere mich an ihn. Er fuchtelte mit dem Degen vor meiner Nase herum. Aber er war so stockbesoffen, dass er kaum stehen konnte.«
    »Erzähl mir genau, was vorher passiert ist.«
    »Ich ging diese Straße entlang. Da sah ich ihn auf dem Boden liegen, mit dem Gesicht nach unten. Ein zweiter Mann stand über ihm und durchwühlte seine Kleidung. Ich dachte, er hätte den anderen überfallen und wollte ihn nun ausrauben, deshalb rief ich ihn an, um ihn von seinem Opfer zu verscheuchen. Er hob erschrocken den Kopf und suchte sofort das Weite.«
    »Kanntest du ihn?«
    »Ja, der Kerl heißt Jack Einauge, ein kleiner Gauner, der schon bessere Tage gesehen hat. Seine Finger sind nicht mehr schnell genug. Wenn ich zurückdenke, kam mir die Sache allerdings irgendwie komisch vor. Eigentlich sah es nicht so aus, als wollte Einauge den Mann berauben, sondern als hätte er ihn mit dem Mantel zugedeckt.
    Ich beugte mich dann über den Betrunkenen, um zu sehen, ob er verletzt war. Doch er schlug plötzlich um sich und zog seinen Degen. Da habe ich mich lieber verzogen.«
    »Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, mein Sohn«, sagte Jeremy herzlich. »Du hast mir sehr

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