Die Richter des Königs (German Edition)
Raubüberfalls beschuldigt. Und der Ankläger ist kein unbedeutender Mann, sondern der Ratsherr Sir John Deane, der sogar einmal Lord Mayor war. McMahon hat ihn eines Abends, als er aus einer Schenke kam, mit einem Messer bedroht und ihm befohlen, seine Wertsachen herauszugeben. Zum Glück kamen Sir Johns Freunde ihm zu Hilfe. Der Ire konnte ihm aber noch seinen wertvollen Degen entreißen, bevor er die Flucht ergriff. So weit die Aussage, die Deane vor einem Friedensrichter machte. Seine Freunde bestätigen den Hergang des Geschehens.«
»Wenn ich recht verstehe, droht McMahon die Todesstrafe?«
»So ist es!«
»Aber gibt es denn nichts, was man für ihn tun kann?«
»Nicht viel. Er müsste schon verteufeltes Glück haben, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Bei der Verhandlung eines Kapitalverbrechens befindet sich der Angeklagte dem Ankläger gegenüber entschieden im Nachteil. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens gilt er nicht als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen wird, sondern es liegt bei ihm, zu beweisen, dass die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen nicht zutreffen. Zweitens hat er anders als bei kleineren Vergehen und zivilrechtlichen Verfahren kein Recht auf einen Anwalt. Er muss sich selbst verteidigen. Drittens erfährt er erst vor Gericht, wessen er genau angeklagt ist und welche Zeugen gegen ihn aussagen. Ich weiß, das scheint ungerecht, denn es nimmt ihm jegliche Möglichkeit, sich auf den Prozess vorzubereiten. Aber dem liegt nun einmal die Vorstellung zugrunde, dass ein Angeklagter gerade durch seine unvorbereitete Reaktion auf die Anschuldigungen die Geschworenen von seiner Unschuld überzeugen soll. Sie sollen ihm die Ehrlichkeit vom Gesicht ablesen können. Das ist auch der Grund, weshalb ihm ein Verteidiger verwehrt wird. Es gilt die Maxime, dass der Richter der Anwalt des Angeklagten ist. Er berät ihn in rechtlichen Fragen und sorgt dafür, dass der Ankläger keine unzulässigen Beweise vorbringt.
Ihr sagtet, McMahon habe keine Zeugen für seine Darstellung des Geschehens. Das heißt, er hat keine Möglichkeit, zu beweisen, dass die Anschuldigungen falsch sind. Das Einzige, was er noch tun kann, ist, Leumundszeugen beizubringen. Damit meine ich angesehene Gemeindemitglieder, die bestätigen, dass er ein hart arbeitender Mann ist und bisher ein untadeliges Leben geführt hat. Die wird er aber nicht haben, da er, wie Ihr sagt, erst ein halbes Jahr in England ist. Und selbst wenn er sie hätte, wären sie nicht verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen, anders als die Zeugen der Anklage, die eine amtliche Vorladung erhalten und bei Nichtbefolgung eine Strafe zahlen müssen. Außerdem werden die Zeugen der Verteidigung im Gegensatz zu den Zeugen der Anklage nicht vereidigt. Dadurch hat ihre Aussage zwangsläufig weniger Gewicht.
Schließlich kommt noch dazu, dass McMahon vorbestraft ist. Er trägt ein Brandmal in der Hand, das ihn als Totschläger ausweist. Den Geschworenen wird er folglich als ein Mann erscheinen, der jähzornig und gewalttätig ist und deshalb eine Gefahr für Ruhe und Ordnung darstellt, eben als unverbesserlicher Verbrecher, der die Möglichkeit bekommen hatte, sich zu bewähren, und sie nicht nutzte, sondern wieder straffällig wurde – ein geeigneter Kandidat also, an dem man für die anderen ein Exempel statuieren könnte.«
»Ihr meint, indem man ihn als abschreckendes Beispiel hinrichtet?«
»Ja. Ich erkläre Euch auch gerne, warum. Die Unzulänglichkeit unserer Rechtsprechung zeigt sich vor allem in der Verbrechensbekämpfung. Für die meisten Eigentumsdelikte gibt es dem Gesetz nach nur eine Strafe: den Galgen. Zugleich ist es aber unmöglich und darüber hinaus auch nicht wünschenswert, jeden Dieb gleich aufzuhängen. Die wenigsten würden dann noch einen Übeltäter vor Gericht bringen. Außerdem bestände die Gefahr, dass ein Dieb weniger Hemmungen hätte, sein Opfer, das ihn wiedererkennen könnte, zu töten, wenn die Strafe für Diebstahl dieselbe wäre wie für Mord. Die Folge wäre eine völlige Verrohung der Gesellschaft.
Juristische Schlupflöcher, wie das Vorrecht des Klerus oder der königliche Gnadenerlass, mildern die Härte des Gesetzes und geben einem verurteilten Verbrecher die Chance, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Der Nachteil ist jedoch, dass sich Missetäter zu sehr darauf verlassen, mit einer läppischen Strafe wie einem Brandmal in der Hand oder sogar ganz straflos davonzukommen. Aber leider bieten die Gesetze keine
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