Die Richter des Königs (German Edition)
gefiel ihm, dass er sich nicht um seine körperlichen Bedürfnisse kümmern musste, sondern sich ganz seinen geistigen Studien widmen konnte. Und so brachte er das Thema nie wieder auf.
Jeremys Gedankengang wurde durch eine bekannte Stimme unterbrochen: »Dr. Fauconer, ich dachte mir, dass Ihr kommen würdet«, begrüßte ihn George Jeffreys mit einem wissenden Lächeln. »Ihr wollt sehen, wie sich Euer Ire schlägt. Darf ich Euch Gesellschaft leisten? Ich könnte Euch den juristischen Hergang erklären.« Er nahm Jeremy am Arm, um ihn in der Menschenmenge nicht zu verlieren. »Zuerst müssen wir sehen, dass wir einen Platz finden. Nach englischem Recht finden Prozesse öffentlich statt, was oft einen großen Andrang mit sich bringt. Lasst Euer Geld stecken, ich lade Euch ein!« Der Jurastudent fischte ein paar Münzen aus seiner Tasche und bezahlte die Eintrittsgebühr, die einem alten Privileg zufolge der Schwertträger der Stadt von den Schaulustigen verlangen durfte.
Es war ein Glück, dass es nicht windig war, denn der Gerichtssaal bestand zur Hälfte aus einem kleinen, offenen Hof ohne Überdachung, der von einer Mauer eingerahmt wurde. Die Richterbank und die Sitzplätze der Jury und der Zuschauer befanden sich auf einer Estrade innerhalb des Sitzungshauses, während die Angeklagten unter freiem Himmel den Unbilden des Wetters ausgesetzt waren.
George Jeffreys ergatterte für sich und seinen Begleiter zwei gute Plätze, von denen aus man einen ungehinderten Blick auf Richter und Geschworene hatte, dabei aber den zumeist an Krankheiten leidenden und von Ungeziefer befallenen Gefangenen nicht zu nahe kam. Die Ansteckungsgefahr war auch der Grund für die offene Bauweise des Gerichtsgebäudes. Eine weitere, wenn auch wenig wirkungsvolle Schutzmaßnahme stellte das Ausstreuen aromatischer Kräuter auf den Pulten der Richter dar.
Nachdem der Lord Mayor, der Recorder und der Common Serjeant zusammen mit den drei Richtern der Obersten Gerichtshöfe und einigen Ratsherren ihre Plätze eingenommen hatten, wurde die Sitzung eröffnet.
Jeremy sah zu Sir Orlando Trelawney hinüber, der neben dem Lord Chief Justice, dem obersten Richter des Königlichen Gerichtshofs, saß. Er war wie die anderen in seine scharlachrote, mit Hermelin besetzte Amtsrobe gekleidet. Nur einer der Richter trug keine Perücke, sondern die Coif , eine eng am Kopf anliegende, weiße Leinenkappe, die mit einem Band unter dem Kinn zusammengehalten wurde. Dieses Kleidungsstück war ein Überbleibsel der Tracht des Ordens der Serjeants, dem alle Richter angehörten, der aber in den letzten hundert Jahren an Bedeutung verloren hatte. Die Plätze, die der Jurastudent ihnen gesichert hatte, waren so vorteilhaft situiert, dass Trelawney Jeremy inmitten der Menge erkannte und seinen Blick erwiderte.
Als die Kommissionen verlesen worden waren, die die Richter bevollmächtigten, über die Häftlinge des Newgate zu verhandeln, wurde die Grand Jury, die mit dem Lord Mayor vom Rathaus herübergekommen war, neu vereidigt. Erst wenn eine Anklageschrift von ihr zugelassen wurde, ging der Fall vor Gericht.
Die Häftlinge wurden in kleinen Gruppen vom Newgate herübergebracht, Hände und Füße in Ketten, die über den Boden klirrten. Der erste Angeklagte, dem der Prozess gemacht wurde, war ein halbnackter, in zerrissene Lumpen gekleideter Mann, den man des Pferdediebstahls beschuldigte. Seine heruntergekommene Erscheinung legte trauriges Zeugnis seines wochenlangen Aufenthalts in den tiefen Verliesen des Newgate ab. Er war unbeschreiblich schmutzig, sein Haar grau und schmierig, seine Haut unter dem dreckverklebten Bart leichenfahl, und der Gestank, der von ihm ausging, ließ alle Anwesenden schaudernd zurückzucken. Er zitterte am ganzen Körper und klammerte sich schwankend an die Eisengitter vor ihm, die ihn von den Richtern und Geschworenen trennten, während er mit fieberglänzenden Augen um sich blickte. Es bestand kein Zweifel, dass der Gefangene an Kerkerfieber litt und nicht in der Verfassung war, sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen, die der Besitzer des gestohlenen Pferdes gegen ihn vorbrachte.
Neben Jeremy zerrieb George Jeffreys Pfefferminzblätter zwischen den Fingern, um den pestilenzartigen Geruch, der zu ihnen herüberwehte, zu verdrängen. Andere Zuschauer hielten sich mit Essig gefüllte Fläschchen oder Kampfer unter die Nase.
Die Verhandlung dauerte kaum länger als zwanzig Minuten. Nach Beendigung der Beweisaufnahme war der
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