Die Richter des Königs (German Edition)
den Becher Wein von Gwyneth entgegennahm, den die Apothekerfrau zuvor auf einem der Tische abgestellt hatte. Eine unheilvolle Ahnung krampfte mit einem Mal Jeremys Magen zusammen. Hastig stürzte er an Trelawneys Seite, um ihn am Trinken zu hindern, doch da hatte der Richter den Becher bereits geleert. Jeremy riss ihm das Gefäß aus der Hand und roch an dem Rest Wein, der sich noch darin befand. Da er nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, drehte er den Zinnbecher um und ließ die verbliebenen Tropfen herausrinnen. Auf dem Boden blieb ein verdächtiger Satz zurück. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich.
»Was ist?«, fragte Sir Orlando beunruhigt.
Jeremy sah ihn düster an. »Gift, Mylord! Wahrscheinlich Arsenik.«
Trelawneys Gesicht wurde schlagartig kreideweiß. »Aber wie …« Ein Schauder des Entsetzens fuhr durch seine Glieder und strahlte schmerzhaft bis in seine Zehenspitzen aus.
»Ihr müsst Euch sofort übergeben!«, befahl Jeremy.
»Ich werde ein Brechmittel besorgen«, warf Gwyneth ein, die wie alle anderen Anwesenden die Geschehnisse stumm verfolgt hatte. »Schankwirt, habt Ihr Brechweinstein oder Kupfervitriol da?«
»Das dauert zu lange!«, widersprach Jeremy. Er wusste, dass er keine Zeit verlieren durfte. Ohne sich mit Erklärungen aufzuhalten, riss er einem der Speisegäste den Löffel, mit dem dieser gerade eine Suppe gegessen hatte, aus der Hand, nötigte den Richter, den Mund zu öffnen, und ließ ihm den Stiel vorsichtig in den Rachen gleiten. Jeremy wiederholte die Prozedur so oft, bis Trelawney alles erbrochen hatte, was sich in seinem Magen befand.
»Mistress Bloundel, sagt den Soldaten, sie sollen die Türen schließen und niemanden hinauslassen! Der Schurke befindet sich vielleicht noch in der Schenke.«
Die Apothekerfrau befolgte seine Anweisungen, ohne Fragen zu stellen.
»Woher wusstet Ihr, dass der Wein vergiftet war?«, keuchte Sir Orlando. Der gallige Geschmack in seinem Mund reizte ihn immer wieder zum Husten.
»Ich wusste es nicht. Aber mir war plötzlich klar geworden, dass sich die Person, die für das Attentat verantwortlich ist, vermutlich unter den Zuschauern befand, um zu sehen, ob der Anschlag gelang. Sie musste uns auch in die Schenke gefolgt sein. Und der Wein war eine ganze Weile unbeaufsichtigt, bevor Ihr ihn trankt. Jeder hätte sich unbemerkt daran zu schaffen machen können. Es tut mir Leid, Mylord. Ich werde es mir nie verzeihen, dass man Euch buchstäblich vor meinen Augen vergiften konnte.«
»Wie hättet Ihr das ahnen sollen?«, wehrte Trelawney mit einem matten Lächeln ab.
»Sir Orlando, ich hörte von Eurem Unfall«, sagte eine aufgeregte Stimme in ihrem Rücken. »Seid Ihr verletzt?«
Aus der Menge der Umstehenden war ein großer schlanker Mann aufgetaucht, dem sofort respektvoll Platz gemacht wurde. Er war in ein schwarzes Wams und Kniehosen aus feinem Tuch gekleidet, auf seine Brust fiel ein Kragen aus weißer Spitze herab, dazu trug er einen breiten Hut und einen Degen. Sein von einer langen Lockenperücke umrahmtes Gesicht faszinierte durch die Ausprägung seiner Züge: Überschattet von dichten dunklen Augenbrauen, die sich scharf von seiner überaus blassen Hautfarbe abhoben, schauten freundliche braune Augen unter schweren Lidern hervor, und eine große, übermäßig gebogene Hakennase krümmte sich über einem ernsten, schmalen Mund. Doch trotz seines markanten Gesichts und seiner vierzig Jahre war er ein gut aussehender Mann, der mit seiner stillen, melancholischen Art Würde und Vornehmheit ausstrahlte.
Trelawney begrüßte ihn mit herzlicher Ungezwungenheit. »Edmund, es tut gut, Euch zu sehen. Dr. Fauconer, das ist Edmund Berry Godfrey, ein alter Freund von mir. Er ist Friedensrichter von Westminster und Middlesex. Edmund, das ist Dr. Fauconer, ein Gelehrter, der sich seit ein paar Wochen bemüht, die Person ausfindig zu machen, die mir nach dem Leben trachtet.« Sir Orlando legte dem Friedensrichter in kurzen Worten dar, was sich seit Baron Peckhams Tod ereignet hatte.
»Man hat Euch vergiftet?«, rief Godfrey bestürzt und wandte sich vorwurfsvoll an Jeremy. »Aber wollt Ihr ihm nicht ein Gegenmittel geben? Theriak oder Hirschhorn oder Bezoarsteinpulver?«
»Sir, ich versichere Euch, dass keines dieser Mittel eine giftaufhebende Wirkung besitzt, wie Ambroise Paré dies am Beispiel des Bezoarsteins gezeigt hat«, widersprach Jeremy. »Sofern sich noch ein Rest Arsenik im Magen Seiner Lordschaft befindet, werden
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