Die Richter des Königs (German Edition)
gehabt, sich in Ruhe umzusehen. Neugierig las sie die Beschriftung auf den Salbentiegeln und betrachtete mit einem leichten Schaudern die verschiedenen chirurgischen Instrumente, die fein säuberlich auf einem Tisch aufgereiht lagen. Ihre Griffe hatten eine glatte Oberfläche und wiesen entgegen dem Geschmack der Zeit keinerlei Verzierungen auf, in denen sich Schmutzrückstände sammeln konnten. Diese bemerkenswerte Umsicht in Bezug auf die Reinlichkeit seiner Werkstatt war sicherlich ein Grund für Meister Ridgeways Erfolg als Chirurg insbesondere bei riskanten Operationen wie dem Steinschnitt, die andere Wundärzte nicht gerne ausführten, weil dabei zu viele Patienten starben.
Neben einer Rolle Leinenbinden lag ein entfaltetes Blatt Papier. Amoret hob es auf und las die wenigen Worte, die darauf geschrieben waren: »Kommt sofort her! Ich brauche Eure Hilfe.«
Dies musste die Nachricht von Pater Blackshaw sein, die Meister Ridgeway erwähnt hatte, bevor er ging. Amoret konnte die Augen nicht von den scheinbar nachlässig hingeworfenen Zeilen wenden. Sie las sie wieder und wieder durch, bis ihr endlich klar wurde, was der Grund für das seltsame Gefühl der Unruhe war, das sie auf einmal überkommen hatte. Dies war nicht Pater Blackshaws Handschrift. Meister Ridgeway musste das Blatt nur flüchtig überflogen haben, oder er war mit der Schrift des Priesters nicht genügend vertraut, um eine Fälschung zu entdecken. Und diese Nachricht war unzweifelhaft eine raffinierte Fälschung. Sogar sie, die Pater Blackshaws Handschrift so gut kannte, wäre beinahe darauf hereingefallen.
Aber welches Interesse sollte jemand daran haben, Meister Ridgeway aus seiner Werkstatt zu locken? Der Unbekannte musste doch wissen, dass sich der Geselle, der Lehrjunge und die Haushälterin immer noch im Haus befanden. Ein geplanter Einbruch schied also als Erklärung aus.
Amoret versuchte, sich an die genauen Worte des Wundarztes zu erinnern. Er hatte gesagt, der Jesuit befinde sich im Haus des Richters. Also hatte sich Meister Ridgeway dorthin begeben. Nachdenklich wandte Amoret sich dem Fenster zu, das auf die Straße hinausging. Die Dämmerung hatte eingesetzt und ließ die vorbeieilenden Passanten wie körperlose Schatten erscheinen, um die die blassen Lichttupfen ihrer Laternen schwebten. Der perfekte Schauplatz für einen heimlichen Überfall! Selbst in Begleitung eines bewaffneten Dieners war es gefährlich, sich bei diesem Wetter auf die Straße zu wagen. Der Wundarzt aber war allein gegangen. Und er trug keine Waffe bei sich.
Amorets Hände wurden eiskalt. Sie wusste nicht, woher sie die Gewissheit nahm, doch mit einem Mal war sie überzeugt, dass diese gefälschte Botschaft Gefahr bedeutete, Gefahr für Meister Ridgeway, Gefahr für Pater Blackshaw … vielleicht auch für den Richter. Sie wünschte sich, der Chirurg hätte ihr das Papier gezeigt, bevor er sich auf den Weg machte. Sie hätte die Fälschung erkannt und ihn zurückgehalten. Nun war es zu spät. Er war bereits zu lange fort. Dennoch entschloss sie sich, zu handeln. Energisch rief sie nach ihrem Diener und trug ihm auf, sich so schnell wie möglich zu Richter Trelawneys Haus zu begeben und nachzufragen, ob Meister Ridgeway dort angekommen sei. Falls nicht, solle er den Richter und Dr. Fauconer von der fingierten Nachricht in Kenntnis setzen.
Als der Diener gegangen war, verspürte Amoret dennoch keine Erleichterung. Sie machte sich ernstlich Sorgen um den Wundarzt. Sie hatte ihn lieb gewonnen und wollte ihn in Sicherheit wissen. Ihre Unruhe wurde so stark, dass sie schließlich vor die Tür der Chirurgenstube trat und vor dem Haus nervös auf und ab ging, in der Hoffnung, ihn unversehrt zurückkehren zu sehen.
Nach einer Weile wurde Amoret auf einen Vierspänner aufmerksam, der ein Stück die Straße hinunter vor einer Apotheke stand. Beim Nähertreten konnte sie auf dem Wagenschlag ein Wappen ausmachen, das ihr bekannt vorkam. Sie beschleunigte ihre Schritte, um den Lakaien anzusprechen, der die Pferde hielt, als sie bei einem flüchtigen Blick zur gegenüberliegenden Straßenseite Meister Ridgeway erkannte. Sie blieb stehen und hob die Hand, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Im nächsten Moment entfuhr ihr ein Schrei. Sie sah ihn vorwärts taumeln, vor die herantrabenden Pferde eines Hackney – dann war er verschwunden. Der Kutscher griff geistesgegenwärtig in die Zügel und bemühte sich, sein scheuendes Gespann zum Stehen zu bringen. Dann sprang er
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