Die Richter des Königs (German Edition)
sie neben Alan auf den Boden. Mit Jeremys Hilfe hoben sie ihn sodann vorsichtig darauf und trugen ihn ins Haus. Der Jesuit sprach unablässig beruhigend auf seinen Freund ein. Amoret, die ihnen folgte, versuchte von seinem Gesicht abzulesen, wie es um den Verletzten stand, doch seine Züge waren hart und undurchdringlich geworden. Sie gaben nichts mehr von seinen Gefühlen preis.
In der Chirurgenstube angekommen, legten sie die Holztür auf dem Operationstisch ab. Während sich Jeremy über Alan beugte, goss John Branntwein in eine Zinnschüssel, damit der Jesuit sich die Hände waschen konnte.
»Licht! Ich brauche Licht!«, rief Jeremy ungeduldig.
Mit einem Holzspan entzündete Breandán eine tragbare Öllampe und hielt sie über den Körper des Wundarztes. Die Flamme tauchte Alans schmerzverzerrte Züge in ein unheimliches Licht, das seine Blässe verbarg. Er atmete nur noch schwach, kaum hörbar in der eintretenden Stille. Bis auf Jeremy waren alle Anwesenden vor Grauen erstarrt.
Der Jesuit hatte damit begonnen, die Kleidung des Verletzten rücksichtslos mit einer großen Schere aufzuschneiden. Als er Brust und Bauch entblößt hatte, drückte er dem untätig dastehenden Gesellen die Schere in die Hand und fuhr ihn gereizt an: »Halt keine Maulaffen feil. Entkleide ihn weiter.«
John zuckte zusammen und machte sich schuldbewusst an die Arbeit. Es fiel ihm offenbar schwer, sich von dem Schrecken zu erholen, den der Anblick seines Meisters ihm eingeflößt hatte. Es war etwas völlig anderes, statt eines Fremden einen Menschen vor sich zu haben, den man so gut kannte.
Alans Brustkorb war auf der rechten Seite blutunterlaufen. Jeremy tastete behutsam die Rippen ab und stellte fest, dass mehrere von ihnen gebrochen waren. Mit einem Mal gab Alan ein ersticktes Gurgeln von sich und hustete erneut Blut. Der Jesuit drehte den Kopf seines Freundes zur Seite, damit das Blut besser abfließen konnte, öffnete seine Kiefer und zog seine Zunge heraus. Wieder musste Alan krampfhaft husten, doch kurz darauf atmete er leichter.
»Er hat sich auf die Zunge gebissen«, murmelte Jeremy wie zu sich selbst. »Daher das Blut.« In seiner Stimme lag eine Spur von Hoffnung, obwohl er wusste, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass Alan von schwereren Verletzungen verschont geblieben sein könnte. In diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher als die Gabe, durch das Fleisch des Körpers hindurch in das Innere sehen zu können.
Derweil hatte John seinen Meister vollständig entkleidet. Jeremy tastete zuerst die Bauchdecke nach Anzeichen für eine innere Blutung ab, fand zu seiner Erleichterung jedoch keine. An den Beinen zeigten sich mehrere Blutergüsse, aber die Knochen schienen unversehrt. Als der Jesuit sicher war, dass sein Freund sonst keine lebensbedrohlichen Verletzungen hatte, wandte er sich wieder den gebrochenen Rippen zu. Die mittlere Rippe war, offenbar durch die harte Kante eines Hufeisens, an der Bruchstelle nach innen gedrückt worden. Mit einem schmalen Messer machte Jeremy einen seitlichen Einschnitt und spülte dann die Wunde aus, um zu sehen, ob Knochensplitter das Brustfell verletzt hatten. Dies schien aber nicht der Fall zu sein. Während er die gebrochene Rippe mit einem Instrument, das er darunter geschoben hatte, emporzog, verlor Alan das Bewusstsein.
Beunruhigt fühlte Jeremy seinen Puls und legte dann die Hand auf seine Stirn, die feucht von Schweiß war.
»Seine Beine müssen hochgelagert werden«, befahl er. John und Tim bemühten sich, der Anweisung unverzüglich nachzukommen.
Nachdem Jeremy einen Verband rund um Alans Brustkorb angelegt hatte, nahm er sich den gebrochenen Oberarm vor. Der geborstene Knochen hatte die Haut durchbohrt und eine Arterie zerrissen. Der Jesuit unterband das Gefäß mit einem Seidenfaden, dann löste er den zusammengedrehten Leinenkragen, den er noch auf der Straße zur Blutstillung um Alans Arm geschlungen hatte. Als er die Wunde von gequetschtem Gewebe und Knochensplittern gesäubert hatte, hob Jeremy das erste Mal seit Beginn der Untersuchung den Blick und sah in die Gesichter derer, die stumm um den Operationstisch herumstanden. Er war so in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er ihre Anwesenheit völlig vergessen hatte. Blind hatte er den namenlosen Schatten um sich herum Anweisungen erteilt, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Und erst jetzt bemerkte er Amoret, die tapfer am Kopfende des Tisches stand und Alans Gesicht mit einem feuchten Leintuch
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