Die Riesen vom Ganymed
Langsam trank sie ihr Glas leer, während sie ihre Gedanken ordnete und schaute dann auf, um sich an die anderen zu wenden.
»Na gut. Vielleicht haben Sie recht damit, daß wir keine Geheimnisse voreinander haben sollten. Es gab da einen grundlegenden Unterschied zwischen den natürlichen Evolutionsprinzipien, die sich jeweils auf unserer und Ihrer Welt entwickelten – auf Minerva gab es keine fleischfressenden Geschöpfe.« Sie hielt inne, als warte sie auf eine Reaktion, aber die Erdbewohner saßen weiterhin schweigend da: offenbar warteten sie auf weitere Eröffnungen. Sie fühlte sich innerlich plötzlich freier. Vielleicht waren die Ganymeder tatsächlich übervorsichtig im Hinblick auf mögliche Reaktionen dieser unberechenbaren und zur Gewalt neigenden Zwerge gewesen.
»Der wesentliche Grund für diesen Unterschied, ob Sie es nun glauben oder nicht, besteht in der größeren Entfer-
nung Minervas von der Sonne.« Sie fügte weitere Erklärungen hinzu. »Ohne den erwähnten Treibhauseffekt hätte sich auf Minerva niemals Leben entwickelt. Sogar damit war es immer noch ein kalter Planet, im Vergleich mit der Erde ganz sicherlich.
Dieser Treibhauseffekt hielt jedoch die Ozeane flüssig, und in gleichem Maße wie auf der Erde entwickelten sich die ersten Lebensformen in den flachen Bereichen dieser Ozeane. Die Bedingungen dort brachten keine Entwicklung zu höheren Stadien wie auf der wärmeren Erde hervor; der evolutionäre Prozeß verlief ausgesprochen langsam.«
»Aber intelligentes Leben entwickelte sich doch dort sehr viel früher als auf der Erde«, warf jemand ein. »Das ist doch ein wenig merkwürdig.«
»Lediglich deshalb, weil Minerva weiter von der Sonne entfernt lag und daher schneller abkühlte«, antwortete Shilohin. »Daher verfügte das Leben über frühere Startbe-dingungen.«
»Einverstanden.«
Sie spann ihre Gedanken weiter. »Die Evolutionsprinzipien standen zunächst unter bemerkenswert ähnlichen Bedingungen. Komplexe Proteine traten auf, führten schließlich zu selbstreplizierenden Molekülen, welche allmählich lebende Zellen sich formieren ließen. Einzellige Formen traten zunächst auf, dann Zellkolonien und später vielzel-lige Organismen mit spezialisierten Grundzügen – und bei allen handelte es sich um Variationen der ursprünglichen wirbellosen Meeresform.
Der Punkt, an dem beide Wege auseinanderführten, wobei jede Linie auf die auf dem jeweiligen Planeten vorherr-schenden Bedingungen reagierte, wird mit dem Erscheinen im Wasser lebender Wirbeltiere – also Knochenfischen –erreicht. Dieses Stadium kennzeichnet eine Schwelle, welche die Gattungen auf Minerva erst auf dem Wege zu einer höheren Entwicklung überwinden konnten, nachdem sie ein fundamentales Problem gelöst hatten, das sich ihren irdischen Entsprechungen nicht stellte. Dieses Problem bestand einfach in der kälteren Umgebung.
Schauen Sie, in dem Maße, in welchem Weiterentwick-lungen in den minervischen Fischarten auftraten, verlangten die verbesserten Körperfunktionen und ausgeklügelte-ren Organe nach mehr Sauerstoff. Aber aufgrund der geringeren Temperatur war die Inanspruchnahme bereits hoch. Das primitive Zirkulationssystem der frühen minervischen Fischarten konnte mit der Doppelbelastung, in ausreichendem Maße Sauerstoff zu den Zellen zu transportieren und Abfallprodukte und giftige Substanzen aus ihnen hinauszubefördern, nicht Schritt halten – zumindest nicht, wenn ein Fortschritt im Hinblick auf eine höhere Entwick-lungsstufe erzielt werden sollte.«
Shilohin hielt erneut inne, um zu Fragen anzuregen. Ihre Zuhörer waren jedoch zu gefesselt, als daß sie an dieser Stelle mit Fragen hätten unterbrechen mögen.
»Wie immer in Situationen dieser Art«, fuhr sie fort,
»versuchte es die Natur mit einer Reihe von Alternativen, um das Problem zu umgehen. Ihr erfolgreichster diesbezüglicher Versuch stellte die Entwicklung eines zweiten Zirkulationssystems dar, das aus Entlastungsgründen zusätzlich zum ursprünglichen eingerichtet wurde – ein komplettes Duplikatsystem aus verzweigt angelegten Leitungen und Blutgefäßen. Auf diese Weise befaßte sich das erste System ausschließlich mit der Blutzirkulation und der Sau-
erstoffversorgung, während das zweite vollständig die Ent-giftung übernahm.«
»Erstaunlich!« Danchekker konnte sich dieses Ausrufs nicht erwehren.
»Ja, wenn man es an Ihren Maßstäben mißt, war es das vermutlich, Professor.«
»Nur eine Sache – wie fanden
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