Die Riesen von Ganymed
auf ihren eigenen Wunsch hin einmal persönlich kennenzulernen. Sorgt bitte dafür, daß sie sich wie zu Hause fühlen.«
Immer noch schienen die Menschen zurückzuweichen. Einige schienen Willkommensgesten vollführen zu wollen, jeder wartete jedoch, daß ein anderer die Initiative ergreifen würde. Und dann entwand ein kleiner Junge aus der vordersten Reihe seine Hand aus der seiner Mutter, trat vor und baute sich keck vor Garuths riesiger Gestalt auf. Er trug derbe Bergstiefel und Seppelhosen und war etwa zwölf Jahre alt, mit einem blonden Wuschelkopf und einem sommersprossigen Gesicht. Seine Mutter wollte ihm instinktiv folgen, der Mann direkt neben ihr hielt sie jedoch am Arm zurück.
»Mich kümmern die Leute nicht, Herr Garuth«, sagte der Junge in beherztem Ton. »Ich möchte Ihnen die Hand geben.« Mit diesen Worten streckte er vertraulich seine Hand nach oben. Der Riese beugte sich nieder, sein Gesicht verzog sich zu etwas, was nur ein Lächeln sein konnte, packte die Hand und schüttelte sie herzlich. Die Spannung in der Menschenmenge verflüchtigte sich blitzartig, und jubelnd begannen die Leute sich vorzuschieben.
Hunt blickte sich um und stellte fest, daß sich das Bild plötzlich völlig verändert hatte. Hier posierte ein Ganymeder, der einen Arm um die Schulter einer Frau mittleren Alters gelegt hatte, vor der Kamera ihres Ehemannes, dort nahm ein Riese die angebotene Tasse Kaffee an, während hinter ihm ein dritter etwas zweifelnd zu einem hartnäckig mit dem Schwanz wedelnden Schäferhund hinabsah, den eine Familie mitgebracht hatte. Nachdem er den Hund versuchsweise einige Male getätschelt hatte, hockte sich der Riese nieder und begann sein Fell zu streicheln, woraufhin er mit eifrigem Abschlecken der Kinnpartie seines langen, spitz zulaufenden Gesichtes belohnt wurde.
Hunt zündete sich eine Zigarette an und schlenderte hinüber zu dem Schweizer Polizeichef, der sich mit einem Taschentuch die dicken Schweißtropfen von der Stirn wischte.
»Na, Heinrich«, sagte er. »So schlimm war’s doch gar nicht. Ich hab’ Ihnen ja gesagt, daß es keinen Grund zur Besorgnis gibt.«
»Hoffentlich, Dr. Hunt«, antwortete Heinrich, der immer noch nicht so recht glücklich klang. »Trotzdem werde isch viel glucklischer sein, wenn wir, wie sagt man in Amerika … ›get se hell out of ’ere‹.«
Hunt verbrachte noch einige Tage in dem Bereich Ganyvilles, der für Erdbewohner konzipiert war, half dem Verbindungsbüro in organisatorischen Angelegenheiten, gönnte sich selbst jedoch auch etwas Ruhe und Entspannung. Danach verhalf er sich zu einem Urlaubsschein – dies erschien ihm nur zu berechtigt angesichts seines überdurchschnittlichen Arbeitseinsatzes –, holte Yvonne ab, buchte für sie beide einen Flug nach Genf in einem der nach wie vor verkehrenden VTOL-Jets und begann mit ihr einen Stadtbummel. Drei Tage später stolperten sie aus einem Auto, das auf der Hauptverkehrsstraße anhielt, die an der Umzäunung entlangführte, ausgesprochen zerzaust, sehr wackelig auf den Beinen, aber unendlich glücklich.
Inzwischen hatte das Verbindungsbüro – mehr als acht Tage seit der Landung der Shapieron waren inzwischen vergangen alle Dinge voll im Griff, und Gruppen von Ganymedern brachen bereits zu Besuchen und zu Konferenzen überall auf der Welt auf. Einige Gruppen waren, um es genau zu nehmen, bereits seit einiger Zeit unterwegs, und es trafen schon Nachrichten über ihr Befinden ein.
Kleine Ansammlungen der acht Fuß hohen Außerirdischen in Begleitung ihrer stets wachsamen Polizeieskorten, waren ein tolerierter, ja schon fast zur Gewohnheit gewordener Anblick auf dem Times Square, dem Roten Platz, dem Trafalgar Square und den Champs-Elysées geworden. In Boston hatten sie genüßlich einem Beethovenkonzert gelauscht, den Londoner Zoo in einer Mischung aus Scheu und Schrecken durchwandelt, in Buenos Aires, Canberra, Kapstadt und Washington waren ihnen überschwengliche Empfänge bereitet worden, und auch dem Vatikan hatten sie einen Anstandsbesuch abgestattet. In Peking war ihre Kultur als die ultimate Verkörperung der kommunistischen Lehre gepriesen worden, in New York war sie als höchster Ausdruck des demokratischen und in Stockholm als Vollendung des liberalen Ideals gefeiert worden. Und überall strömten die Massen zusammen, um sie willkommen zu heißen.
Die Berichte von überall aus der Welt beschrieben die uneingeschränkte Verblüffung der Fremden über die Vielfalt des Lebens der
Weitere Kostenlose Bücher