Die Ringe der Macht
vergessen vor, als wäre er kein Geschöpf der Götter.
Plötzlich fiel ein Stein von oben herab. Sofort richteten sich aller Augen zur Decke, aber es war nichts zu erkennen. Trotzdem mochte sich da oben durchaus jemand verbergen. Die Halle umlief eine Galerie, und eine Konstruktion aus mannsbreiten steinernen Verstrebungen zog sich wie ein Gebälk durch das Gewölbe.
Gwrgi sog die Luft ein und witterte. »Da is’ wer!«, hauchte er. »Kein Zwerg.«
»Was dann?«, fragte Fabian besorgt. »Schattenhunde?«
»Schattenhunde nicht riechen«, quäkte Gwrgi. »Weiß nicht. Lebendes Wesen.«
»Gregorin«, wandte sich Fabian an den Zwerg, »von uns allen weißt du am meisten über Zarakthrôr. Wer oder was könnte das sein?«
»Was weiß ich?«, knurrte Gregorin, und Kim hatte den Eindruck, als käme die Antwort ein klein wenig zu schnell, als wolle der Zwerg nicht wissen, wer oder was hier unter dem Berg noch lebte.
»Das hilft uns nicht weiter«, sagte Fabian mit einem Seufzer. »Haltet eure Waffen bereit. Es mag der Augenblick kommen, da wir wieder kämpfen müssen.«
»Gut, dass Licht ist«, quäkte Gwrgi. »Is’ besser zum Kämpfen.«
»Wollen wir hoffen, dass es nicht so weit kommt«, sagte Marina. »Vielleicht will man sich nur überzeugen, dass wir bloß hier durchmarschieren und nicht bleiben.«
»Vielleicht hat Marina recht«, sagte Kim. »Dann ist es nicht gut, die Waffen offen zu tragen. Wachsamkeit ist angebracht, aber die Klingen offen zu zeigen, könnte als Feindseligkeit gedeutet werden.«
»Gut«, stimmte Fabian zu. »Aber haltet euch bereit.«
Kim fiel auf, dass Burin nichts sagte, sondern nur Gregorin anstarrte. In seiner Miene glaubte der Ffolksmann so etwas wie Vorwurf zu erkennen.
Doch auch Kim zog es vor, zu schweigen. Was die Zwerge anging, war er zunehmend beunruhigt. Sie vermochten mit Sicherheit einiges über diesen Ort zu erzählen, aber etwas verschloss ihren Mund. Kim wollte weder seinen Freund noch Gregorin mit Fragen bedrängen; denn er war sich sicher, dass beide nur ärgerlich geworden wären und letztlich eine Antwort verweigert oder Unwissen vorgetäuscht hätten. Er konnte nur hoffen, dass sich die Lösung dieses Rätsels irgendwann von selbst ergeben würde – sofern sie ihrer je bedurften. Er sehnte sich immer mehr danach, endlich die Geheimnisse dieser düsteren Tiefen hinter sich zu lassen und wieder das Licht des Tages zu sehen.
Sie marschierten weiter, ständig auf der Hut vor ihren unbekannten Beobachtern. Marina half Gregorin nach Kräften beim Studium der Karte, und jedes Mal wies sie die Richtung, wenn Gregorin mit seiner Weisheit am Ende war. Immer tiefer hinein in den Berg führte ihr Weg.
Nach und nach wandelte sich das Antlitz der Zwergenfeste. Die Gestaltung der Gänge und Hallen wandte sich mehr und mehr einfacher Zweckmäßigkeit zu. Der Übergang war keineswegs abrupt, sondern vollzog sich so allmählich, dass Kim nicht zu sagen vermochte, wann er begonnen hatte. Die Verzierungen waren immer schlichter geworden, hatten an Detailfreude verloren. Die Torbogen verschwanden ebenfalls und machten rechteckigen Löchern Platz, die ebenso kahl waren wie die Wände der Gänge.
Das Licht aus den Wänden war gleichfalls matter geworden, nur ein klein wenig, aber es fiel auf. Auch verbreiterten sich die Gänge, und manchmal meinte Kim in dem Fels Spurrillen von Karren, Wagen oder Loren zu sehen. Von den Gängen zweigten Türen in Hallen ab, die offensichtlich als Lager gedient hatten; denn sie glichen den für diesen Zweck vorgesehenen Hallen im Rasthof unter dem Pass, abgesehen davon, dass sie um ein Vielfaches größer waren.
Zarakthrôr musste einst ein großer Handelsplatz gewesen sein, der für die Zwerge von erheblicher Bedeutung gewesen war.
Nach wie vor gab es keine Wand, die nicht von Zwergenhämmern bearbeitet worden war, aber die Spur des Meißels war hier überall sichtbar geblieben. Sie mussten einen neuen Bereich der Zwergenfeste betreten haben. Kim fragte sich, wie groß Zarakthrôr wirklich sein mochte. Die Karte, die er nicht lesen konnte, half ihm nicht weiter, aber er hatte das Gefühl, fast das ganze Sichelgebirge sei von den Zwergen unterhöhlt worden. Und wo waren all jene geblieben, die hier gelebt haben? Diese Stadt unter dem Berg musste für Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende gebaut worden sein. Vermutlich hätte man, dachte er bei sich, das ganze Ffolk in Zarakthrôr unterbringen und jedem Bauern und Händler seinen eigenen
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