Die Ringe der Macht
immer das bedeuten mochte.
Vielleicht war es besser, wenn Zarakthrôr die Antwort auf diese Frage für sich behielt. Der junge Ffolksmann wollte gar nicht wissen, welche Überraschungen noch in der Tiefe lauerten. Wieder hatte er das Bild von dem Strudel vor Augen, der in den schwarzen Abgrund fiel, wo die Schatten drohten, und das Pochen seines eigenen Pulsschlags dröhnte in seinen Ohren.
Sie durchschritten gerade einen etwa zehn Ffuß breiten Gang, der sie von dem Palast wegführte, als sie auf eine Kreuzung stießen. Gregorin zog wieder seine Karte hervor und studierte sie. Er sah sich um, als sei ihm nicht klar, wohin er sich wenden sollte.
»Was ist?«, fragte Fabian. »Haben wir uns verlaufen?«
»Wenn ich das wüsste«, knurrte der Zwerg. »Es ist nicht leicht, der Karte zu folgen.«
»Was heißt das?« Burin trat neben Gregorin. »Oh, jetzt verstehe ich, was Ihr meint.«
»Gebt mal her«, sagte Marina. Gregorin wandte sich ihr zu, und so hatte auch Kim Gelegenheit, einen Blick auf den Plan zu werfen.
Lieber würde er die Sammlungen des Ffolksmuseums auf dem Marktplatz von Aldswick neu ordnen, nachdem die Kinder mit ihnen gespielt hatten, als mit dieser Karte auf sich selbst gestellt zu sein. Sie war ein Versuch, die räumliche Höhlenwelt Zarakthrôrs auf die Fläche eines Pergaments zu bannen. Das Ergebnis war ein verwirrendes Knäuel von Linien und Punkten in unterschiedlichen Farben, welche teils frisch erhalten, teils bereits verblasst waren, beschriftet mit Zwergenrunen, die in alle Richtungen verliefen. Nicht einmal die Stelle, wo sie sich gerade befanden, hätte der Ffolksmann ohne Hilfe entdecken können.
Marinas Augen hingegen flogen über den Plan, als wäre ihr jede Einzelheit sogleich klar. Kim begann sich wieder einmal zu fragen, was diese Frau in seinen Diensten verloren hatte. Magister Adrion hatte sie ins Haus geholt. Ob er gewusst hatte, welche Fähigkeiten sich hinter dem schlichten Äußeren verbargen? Und wenn ja, was hatte sein Freund und Mentor damit bezweckt?
»Was heißt das hier?«, fragte sie gelegentlich, wenn sie ein Zeichen nicht deuten konnte. Burin und Gregorin erklärten es, soweit sie konnten, aber Begriffe wie ›Saal des Werkes‹ oder ›Halle der Stille‹ blieben auch in der Übersetzung rätselhaft.
»Hier sind wir«, sagte die Ffolksfrau schließlich und deutete nach rechts in einen nach unten führenden Gang. »Wir müssen diesen Weg hier nehmen. Sieh her, Gregorin«, sagte sie schließlich, »es ist gar nicht so schwer.«
Mit ein paar Handbewegungen zeigte sie dem Zwerg den Weg, und Kim musste ein wenig schmunzeln, als er das erstaunte Gesicht des Alten sah. Auch Burin machte nicht gerade den Eindruck, als hätte er problemlos folgen können.
Kims Blick fiel auf Gwrgi, der etwas abseits stand und angestrengt zu lauschen schien. Dann schnupperte der Sumpfling in der Luft, als wittere er etwas. Schließlich drehte er sich um und starrte angestrengt in den Gang zurück, den sie gekommen waren und an dessen Wänden noch, gebrochen durch vielfältige Reflexionen, der matte Widerschein der Edelsteine glomm.
»Was ist los?«, fragte Kim.
»Etwas nicht richtig. Irgendwie, wer sieht uns.«
»Was soll das heißen?«, fragte Gregorin scharf.
»Da ist wer, hat Auge auf uns. Belauert uns wie der Frosch die Fliege«, quäkte der Sumpfling und schnupperte wieder in die Luft. »Riecht nach … jemand.«
»Wir sollten vorsichtig sein«, sagte Fabian. »Seid wachsam, lasst euch nicht ablenken.«
»Ich werde sagen, wann kommen«, meinte Gwrgi, der immer noch die Luft einsaugte und mit seinen spitzen Ohren lauschte.
Sie gingen weiter. Kim war aufgewühlt. Wenn Gwrgi, der in der freien Natur aufgewachsen war, sich beobachtet fühlte, hatten sie allen Anlass, seine Instinkte ernst zu nehmen.
In diesem Augenblick klangen fern die Trommeln wieder auf und hallten dumpf durch die Gänge, verfingen sich im Fels, wurden zurückgeworfen und hallten als Echos erneut in Hohlräumen wider, sodass es unmöglich war, zu sagen, woher die Laute kamen.
Die Gefährten durchquerten eine weitere Halle, in der sich, in Reih und Glied aufgestellt, Obelisken erhoben, die mit Szenen der Schöpfung versehen waren. Sie zeigten eine Vielfalt von Wesen aus dem Tier-und Pflanzenreich in allen Phasen ihres Lebens sowie Elben, Menschen und Zwerge. Ffolk und Sumpflinge fehlten, was Kim zunächst nicht erstaunte; waren sie doch zu unbedeutend. Und doch, ein wenig störte es ihn. Er kam sich
Weitere Kostenlose Bücher