Die Ringe der Macht
er da?«
»Wenn du dich umdrehst, siehst du es«, sagte Gilfalas, und seine Stimme war seltsam tonlos.
»Was …«, entfuhr es Fabian. Dann verstummte er für einen Augenblick, um gleich darauf zu fluchen wie ein gehörnter Hafenarbeiter, der den Nebenbuhler ertappt hat.
Auch Kim drehte sich um. Gebannt starrte er in Richtung Elderland. Wie aus dem Nichts wuchs dort ein schwarzes Wolkengebilde heran, das schneller näher kam, als ein Pferd rennen konnte. Vor den nachtschwarzen Wolken trieb ein grauer Schleier her, in dem es wetterleuchtete. Die Temperatur war schlagartig gefallen, und Kim hatte das Gefühl, als würde ihm das ganze Blut aus dem Kopf in die Füße sacken. Ihn schwindelte.
»Ein Schneesturm«, sagte er nur. »Aber ein Sturm, der aus Elderland nach Süden zieht? Und mit einer solchen Geschwindigkeit …?«
»Ich glaube auch nicht, dass er natürlichen Ursprungs ist. Es ist ein Gruß von alten Freunden.« Erbitterung klang aus Gilfalas’ Stimme.
»Sind sie so mächtig, dass sie …« Kim fehlten die Worte, stattdessen deutete er mit einem Nicken auf die heranbrausende Wetterfront, »… das da schicken können?«
»Ja«, sagte Gilfalas nur.
»Schnell, beeilt euch!«, befahl Fabian. »Wir müssen Burin retten.«
Sie rannten den Berg hinauf. Kim konnte mit Fabian kaum Schritt halten, und mehrfach hatte er Glück, dass er nicht fiel. Seine Lungen brannten, Kreise in allen Farben des Regenbogens drehten sich vor seinen Augen, aber er gab sein Bestes.
Burin hatte sich bereits auf den Weg gemacht. Er nahm keine Rücksicht mehr darauf, ob das Seil gespannt war oder nicht; denn bedrohlich schnell raste die Wand aus Wolken, Schnee und Wind heran.
Die ersten Böen fegten die Passstraße herauf, als die Gefährten auf einer Höhe mit Burin waren, aber immer noch mindestens fünfzig Schritt von ihm entfernt. Tief, für Kims Geschmack zu tief, sanken die Füße seines Freundes unter der doppelten Last in den alten Schnee aus dem letzten Winter ein.
Kims sandfarbenes Haar peitschte ihm ums Gesicht, als die Böen an Heftigkeit zunahmen. Es war nur schwer abzuschätzen, wie weit entfernt der Sturm noch war, aber Kim erschien es, als wäre das bizarre Wolkengebirge, getrieben von Wind und Magie, schon unmittelbar über ihnen.
Das Heulen des Sturms, das wie das Gejaule tausend gequälter Seelen klang, nahm zu. Und im Rhythmus des Sturms lag ein dumpfes Tosen, welches das Geheul untermalte.
Burin mochte noch gut dreißig Schritt bis zu seinen Freunden vor sich haben, als der stärker werdende Wind, dessen Böen Kim fast von den Beinen rissen, die ersten Schneekristalle heranpeitschte. Aber es waren nicht die großen Flocken, die man sanft vom Himmel rieseln sah, wenn man an einem Winterabend bei einem Glas Gewürzwein mit einem guten Buch auf den Knien und einer Pfeife im Mund am Kamin saß und das warme Licht der Kerzen aus dem Fenster drang. Sie waren klein, fast graupelartig. Kalt und hart trafen sie ihn ins Gesicht, stachen auf der Haut und in den Augen. Die Gefährten drehten sich in den Wind, damit ihnen nicht der Atem genommen wurde. Burin kämpfte sich Schritt um Schritt vorwärts.
Die Luft war unterdessen so eisig geworden, dass die Hände, welche die Seile hielten, völlig gefühllos waren. Krampfhaft klammerten sich die Gefährten an das Seil. Jedes Umgreifen fiel ihnen schwer.
»Heee geiht!« , begann Fabian sie anzufeuern. Und jeder fiel in diesen Ruf ein, der ihnen Mut machte. Noch zehn Schritt. Die Anfeuerungsrufe wurden lauter. Der immer noch zunehmende Wind riss ihnen die Worte von den Lippen, aber mit jedem Augenblick kam Burin der schneefreien Geröllzone näher.
Schließlich scharrten die Schneeschuhe über Stein. Burin ging in die Knie. Beinahe im selben Augenblick waren Fabian, Gilfalas und Marina neben ihm. Marina stützte ihn, während der Elbe und der Mensch ihn von seiner Last befreiten.
»Über den Pass!«, brüllte Fabian gegen den Sturm.
»Nein …!«, keuchte Burin. »Das … das geht nicht mehr! Zwei …«
Was immer Burin auch sagen wollte, er kam nicht mehr dazu. Vom Pass her ertönte ein gewaltiges Donnern, das selbst den heulenden und tosenden Wind übertönte. Ein Vulkan aus Schnee schoss in die Höhe, und eine weiße, wirbelnde Wand erhob sich dort, wo soeben noch der Steig gewesen war. Als der Wind den stäubenden Schnee vertrieben hatte, sahen sie keinen Pass mehr; vielmehr erhob sich zwischen den Gipfeln ein gewaltiger, unüberwindlicher Wall aus Eis, höher als
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