Die Ringe der Macht
der größte Turm.
»Das war’s! Runter zum Rasthaus!«, brüllte Burin gegen den Sturm und das verklingende Donnern der Lawine.
Gilfalas und Fabian trugen den geborgenen Zwerg, während Kim und Marina Burin stützten, so gut es ging.
Sie waren noch keine zehn Schritte gegangen, als der Boden unter ihren Füßen erneut erzitterte. Kim warf einen Blick über die Schulter und sah, wie über der Stelle, wo Burin noch vor gar nicht allzu langer Zeit gestanden hatte, die Schneewächte ins Wanken geriet und mit einem gewaltigen Donnern die halbe Geröllhalde mit in die Tiefe riss.
Steinsplitter flogen. Eis peitschte ihre Wangen. Der Sturm war nun unmittelbar über ihnen, vor ihnen, um sie herum.
Sie stemmten sich gegen den rasenden Wind und schlitterten, mehr dass sie gingen, den Hang hinunter.
»Wenigstens geht es bergab«, war Kims letzter bewusster Gedanke, ehe das Heulen jedes Denken, Hoffen und Fühlen in ihm auslöschte. Er kam erst wieder richtig zu sich, als er völlig durchgefroren und erschöpft, mehr gestoßen als aus eigener Kraft, durch die Schankstube in die unterirdische Rastanlage taumelte.
Marina, die praktisch veranlagte Frau aus dem Ffolk, übernahm sofort das Kommando. Sie wies Fabian und Gilfalas an, Feuer zu machen, die Bäder zu bereiten und für den Geretteten ein Bett herzurichten. Dann sah sie kurz nach dem erschöpften Burin, bevor sie sich dem Fremden zuwandte.
Sie besah ihn kritisch, horchte nach seinem Atem, fühlte seinen Puls. Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Dann wiederholte sie alles noch einmal.
»Bist du verrückt geworden, Burin? Warum hast du unser und dein Leben riskiert?«, schäumte sie. »Er ist tot.«
»Nein«, sagte Burin knapp.
»Wie würdest du es denn nennen, wenn jemand nicht mehr atmet, keinen Herzschlag mehr hat und fast so steif wie ein Brett ist?«, fauchte sie.
»Shazâm«, murmelte Burin beinahe ehrfürchtig.
»Was soll das, bitte schön, heißen?«
»Bringen wir ihn erst mal in die Wanne. Heißes Wasser wird ihn zum Aufwachen bringen, dann kann er es dir selbst erklären«, meinte Burin nur.
Gemeinsam schleppten sie den fremden Zwerg ins Bad, wo das Feuer unter dem Kessel schon kräftig loderte.
Jetzt konnte Kim den Geretteten näher in Augenschein nehmen. Er war massiger als Burin und vielleicht einen Fingerbreit größer. Sein schwarzer Vollbart war wilder und ungepflegter als der Burins. Sein Haupt war von einer Halbglatze geziert, aber der Haarkranz an den Seiten des Schädels war voll, mit kräftigem schwarzem Haar, das über die Schultern fiel.
»Wie geht es ihm?«, fragte Kim.
»Wenn ihr mich fragt …«, begann Marina.
Aber Burin unterbrach sie. »Bitte«, sagte er nur. »Legen wir ihn ins Wasser, dann kommt er zu sich.«
Kim und den anderen entging die Verärgerung Marinas keineswegs, sie konnten sich aber keinen Reim darauf machen, während Burin den Zwerg aus Wams, Kilt und Stiefeln schälte. Um den Hals trug der Fremde einen Lederbeutel, in dem es knisterte, wie von Pergament. Auch den nahmen sie ihm ab, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Im Untergewand wuchteten sie den Zwerg ins warme Wasser.
»Nun müssen wir warten, bis er erwacht«, sagte Burin nur.
Es dauerte nicht lange, und die wächserne Blässe im Antlitz des Zwergen begann sich zu röten. Dann ging ein Zittern durch die Wasseroberfläche, und der Fremde öffnete den Mund und tat einen tiefen, schaudernden Atemzug. Seine Finger schlossen sich um den Rand des Troges. Muskeln spannten sich, ein Zucken ging durch den ganzen Körper.
»Das kann nicht sein«, murmelte Marina fassungslos.
»Was hat sie?«, wandte sich Fabian an Burin.
»Sie dachte, er«, dabei deutete Burin auf den Geretteten, »wäre tot, aber er war nur shazâm.«
»Was bedeutet?«, fragte Kim stellvertretend für alle anderen.
»Wartet es ab, vielleicht wird er es euch erklären«, meinte Burin nur.
Kim kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass dieser auch auf weiteres Drängen nichts mehr sagen würde.
Der Zwerg in der Wanne stöhnte und öffnete die Augen. Für einen Moment blickte er verwirrt um sich, dann musterte er jeden der Anwesenden, blieb aber stumm. Doch seine Miene sprach mehr als tausend Worte; sie drückte Missbilligung und Unwillen aus. Die Atmosphäre im Bad des alten Rasthofes war mehr als gespannt.
»Wer seid Ihr?«, brach Fabian das allgemeine Schweigen.
»Was ist die Welt für ein Ort geworden; man fragt nach dem Namen, ohne sich selbst vorzustellen. Aber nun gut: neue
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