Die Ringe der Macht
gegangen war, zu einem mythischen Ort, von dem niemand wusste, ob es ihn wirklich gab. Gregorin war fast noch verschlossener als Burin, was Auskünfte betraf, dafür aber mit Tadel und Meckereien umso freigebiger.
Selbst die Tatsache, dass er mit der Lawine zu Tal gerissen worden wäre, wenn man ihn nicht geborgen hätte, hatte den Zorn, der in ihm schwelte, nicht besänftigen können.
Nachdem sie etwas gegessen und die notwendigsten Dinge zusammengepackt hatten, die sie für ihre Wanderung brauchen würden, machten sie sich zum Aufbruch bereit.
»Gut«, sagte Fabian, als sie vor dem Rasthof standen. »Wohin jetzt?«
»Zunächst nach Norden«, sagte Gregorin knapp.
»Aber«, wandte Kim ein, »die Brücke ist zerstört. Wie kommen wir dann über die Schlucht?«
»Was ist geschehen?«, fragte Gregorin.
Burin erzählte ihrem neuen Führer daraufhin von dem Kampf gegen den Dunkelelben und die Bolgs. »Und nun kommen wir nicht über den Abgrund«, schloss Burin seine Erzählung.
»Das lasst meine Sorge sein.«
Der folgende Marsch war für Kim die Hölle. Gregorin hatte zwar kürzere Beine als er, aber der Zwerg schlug ein scharfes Tempo an. Gilfalas und Fabian hatten keine Mühe, Schritt zu halten, und auch Burin hielt sich tapfer, doch Kim und Marina, erschöpft wie sie waren nach dem Kampf gegen den Schneesturm, mussten sich immer mehr dazu zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Irgendwann standen sie am Rande der Schlucht, jenseits derer das Scharmützel mit Azanthul und seinem Gefolge stattgefunden hatte. Wo einst der mächtige Balken aus Eisenholz die Schlucht überspannt hatte, gähnte nun hinter den Pylonen, die den Brückenkopf markierten, nur noch die Leere des Abgrunds.
Gregorin war bereits die Steintreppe hinuntergestiegen, die zu dem kleinen Plateau am oberen Ende der Brücke führte. »Hierher«, drang seine Stimme nach oben. »Nun, was ist, wollt ihr alle Wurzeln schlagen?«
Von der zerstörten Brücke war nichts mehr zu sehen bis auf die Reste der Befestigung: zwei Bohrlöcher im Stein, glatt und konturlos, durch die man das Tosen des Wassers in der Tiefe sehen konnte.
Fabian sprach aus, was alle dachten. »Wenn man dort ein Seil hindurchzieht und es auf der anderen Seite befestigt, dann könnte man sich hinüberhangeln.«
»Ich nicht gehen da rüber!« Gwrgis Stimme war voller Panik. »Ich schwindeln.«
Auch Kim war von der Idee alles andere als angetan. Zwar machte ihm die Höhe weniger etwas aus, doch der Gedanke an ein schwankendes Seil, bei dem ein einziger Fehltritt ihn ins Verderben stürzen könnte, bereitete ihm Unbehagen. »Ich weiß auch nicht, ob das eine so gute Idee wäre«, meinte er zaghaft. »Und außerdem, erst müsste einer mal auf die andere Seite kommen.«
»Aber irgendwie müssen sie diese Brücke doch gebaut haben!«, rief Fabian aus, mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme.
Kims Logik war leider unerbittlich. »Damals war die Schlucht noch von zwei Seiten zugänglich, aus der Ebene und über den Steig. Wenn einer von drüben ein Seil wirft – oder mit einem Pfeil hinüberschießt – braucht es nur jemand auf dieser Seite festzuzurren. So haben sie den Brückenbalken über den Abgrund gezogen – ganz ohne Magie«, fügte er mit einem Seitenblick auf Burin hinzu.
»Es gibt immer einen Weg«, knurrte Gregorin. »Glaubt Ihr, die Erbauer hätten nicht daran gedacht?«
»Hinüber?« Fabians Stimme schwankte zwischen Hohn und Hysterie.
»Nein, hinunter.«
Der alte Zwerg legte sich bäuchlings auf den Boden und schob den Kopf über die Kante. Fabian folgte, nach unmerklichem Zögern, seinem Beispiel. Sie starrten hinunter in die wirbelnden Wassernebel. Nach einer Weile rutschte der Prinz wieder zurück und hob den Kopf.
»Da unten ist eine Brücke«, sagte er nur.
Gregorin hatte an alles gedacht. Mit Hilfe von Rollen und Haken, die er aus seinem Gepäck hervorzauberte, fertigten sie einen primitiven Flaschenzug, den sie in den Befestigungslöchern der Brücke sicherten.
»Ich gehe als Erster«, sagte Fabian, wie um Abbitte für seine Zweifel zu leisten. Während die beiden Zwerge das Seil hielten, verschwand er über die Felskante in den Abgrund. Einer nach dem anderen folgten ihm die Gefährten, bis Burin und schließlich Gregorin den Abschluss machten.
Kim, der während des Abseilens nur Augen für die an ihm vorbeirauschende glitschige Felswand gehabt hatte, warf einen Blick nach oben. Der Himmel war nur ein schmaler Streifen zwischen den
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