Die Risikoluege
Maßnahmen in einer Krisensituation so eine Sache. Bei einem Störfall im Herbst 2008 im AKW Brokdorf (Schleswig-Holstein) des Kraftwerksbetreibers E.ON, bei dem zufällig ein Fernsehteam des NDR anwesend war und drehte, wurde einem eindrucksvoll vor Augen geführt, was das Vorliegen von Einsatzplänen in der Praxis bedeutet. In dem Film sieht man, wie sich die Techniker nach einem optischen und akustischen Warnsignal in einer Schaltzentrale versammeln, Ordner öffnen, Schaltpläne ausbreiten und mit den Fingern kreuz und quer Linien nachfahren. Auf dem Video, das auch auf Facebook zu sehen war, ist zu erkennen, dass die automatisch erfolgte Störmeldung bei den Technikern Unklarheiten auslöste und offensichtlich mehr Fragen aufwarf als beantwortete, sodass das Problem bei Ende der Dreharbeiten noch nicht behoben war. Da die Szene dazu geeignet war, beim Zuschauer gewisse Zweifel an der Beherrschung ernster Probleme aufkommen zu lassen, verbot E.ON die Ausstrahlung, was vom Sender aber ignoriert wurde.
Nun stellt sich ja der Laie unter der Schaltzentrale eines Kernkraftwerks etwas ganz Besonderes vor, wo ein Ingenieur ähnlich dem Flugkapitän in einem Cockpit oder einem Fluglotsen im Tower in einem bequemen Sessel sitzt und bei einem Störfall in aller Ruhe Knöpfe bedient oder auch nur das Einsetzen der automatisch ablaufenden Sicherheitsmaßnahmen beobachtet. Das Herauskramen von Schaltplänen, um die Störung zu verstehen, passt jedenfalls nicht in das Bild, das der Laie von einer Hightechanlage hat.
Eigentlich bedeutet wirksames Katastrophenmanagement
nicht nur das Vorliegen von Einsatzplänen, wie beispielsweise im Bedarfsfall die Feuerwehr eingesetzt werden muss, sondern auch das Vorhandensein von Richtlinien, wie informatorisch vorgegangen werden soll, und wer im Unternehmen wie und wann die Öffentlichkeit zu unterrichten hat. Aber solche Krisenfahrpläne scheinen nicht vorzuliegen, denn noch jedes Mal haben wir erlebt, dass die nach außen abgegebenen Informationen – so denn überhaupt welche abgegeben werden – weder kompetent in der Sache noch verständlich in der Form sind.
»Unsere Anlagen sind sicher«
So lautet eine weitere uns ebenfalls bekannte Aussage, wobei die Betonung einmal auf unsere, ein andermal auf sicher liegt. Großtechnische Anlagen werden von ihren Betreibern grundsätzlich immer für sicher angesehen und die staatlichen Kontroll- und Überwachungsbehörden bestätigen ihnen dies natürlich auch, sonst hätten sie ja gar nicht genehmigt werden dürfen.
Trotz dieser Beteuerungen versagt die Sicherheit einer Anlage oder eines technischen Systems aber immer wieder einmal, was dann auf allen Seiten größtes Erstaunen hervorruft. Und damit man nicht in die Kritik gerät und für mangelnde Verantwortung oder Vernachlässigung der Aufsichtspflicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, heißt es dann gerne, dass die zuvor durchgeführten technischen Überprüfungen oder die regelmäßig erfolgten Kontrollen keine Auffälligkeiten gezeigt haben. Gleiches hört man nach Flugzeugabstürzen, Zugunglücken, Seilbahnabstürzen, Schiffsuntergängen, Busunglücken und ähnlichen Unfällen. Stets wurde alles regelmäßig und sorgfältig geprüft und für sicher befunden. Dass dies durchaus nicht
immer stimmt, dass Prüfungen nicht oder schlampig ausgeführt, notwendige Reparaturen nicht durchgeführt und sogar Prüfprotokolle gefälscht wurden, zeigen nicht nur die von mir diskutierten Beispiele.
In die Enge getrieben, wird dann in solchen Situationen von den Unternehmern gerne auch mal der Verdacht auf Sabotage geäußert oder menschliches Versagen ins Spiel gebracht. Und natürlich auch immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt.
»Menschliches Versagen«
Viele Unfälle, Zwischenfälle und Katastrophen werden zunächst gerne dem berühmten »menschlichen Versagen« zugeschrieben. Bei Lokomotivführern, die ein Signal überfahren und bei Piloten, die vergessen haben, die Landeklappen auszufahren, oder bei Maschinisten in einer großtechnischen Anlage, die bestimmte Handgriffe nicht oder falsch durchführten, werden nicht zunächst technische Probleme diskutiert, sondern es wird meist von menschlicher Unzulänglichkeit ausgegangen. Statt als Unternehmen zu allererst einmal nach außen Verantwortung zu übernehmen, wird die Schuld im Sinne menschlichen Versagens zunächst untergeordneten Mitarbeitern in die Schuhe geschoben.
Als typisches Beispiel hierfür
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