Die Risikoluege
nenne ich die Flugzeugkatastrophe, die sich am 20. August 2008 auf dem Madrider Flughafen Barajas ereignete. Dort war unmittelbar nach dem Abheben eine Maschine der Spanair vom Typ MD-82 abgestürzt. 18 Menschen überlebten, 154 starben. Auch bei diesem Unglück wurde als Erstes der Verdacht auf Pilotenfehler geäußert, denn die Vorflügel und Klappen, die der Maschine zum Start Auftrieb geben, waren nicht ausgefahren.
Da dies immer wieder einmal in der Hektik eines Abfluges vorkommen kann, gibt es hierfür ein Alarmsystem, das den Piloten hierauf aufmerksam machen soll. Dieses allerdings fiel bei diesem Flug aus.
In zwei Gutachten wurden später schwere Vorwürfe gegen das Wartungspersonal erhoben. Die Techniker hätten die Ursache einer vor dem Start festgestellten Panne nicht entdeckt, das Flugzeug nicht korrekt abgefertigt und auch nicht gründlich genug nach der Fehlerquelle gesucht. Wichtiger sei ihnen gewesen, weitere Verzögerungen zu vermeiden und die Maschine starten zu lassen.
Auch wenn die Piloten die Klappen nicht ausgefahren hatten, so war dennoch der eigentliche Grund des Absturzes nicht menschliches Versagen, sondern ein technischer Fehler, der nicht behoben werden konnte. Die Techniker hatten versucht, einen defekten Außentemperaturfühler, der bereits zum Abbruch eines ersten Starts geführt hatte, mit Eis abzukühlen. Da dies nicht gelang, entfernten sie kurzerhand eine Sicherung, die wiederum für den Ausfall der Alarmanlage bei nicht ausgefahrenen Klappen verantwortlich war. Unglücklicherweise war auch die Wartungszentrale der Fluggesellschaft so schwach besetzt gewesen, dass sie die Mechaniker nicht unterstützen konnte. So gab es, wie meist bei solchen Unglücken, ein unglückliches Zusammentreffen von mehreren Ursachen.
Dass menschliches Versagen als Unglücksursache immer gerne angeführt wird, hat verschiedene Gründe:
Derjenige, dem Versagen nachgesagt wird, kommt bei dem Unglück oft selbst ums Leben, kann sich also nicht mehr zu der Sache äußern. Im Sinne des Unternehmens ist dies die eleganteste Lösung.
Mit der Vermutung, dass menschliches Versagen vorliegen
könnte, wird erst einmal eine Erklärung für den Zwischenfall abgegeben, mit der die Medien gefüttert und die Bevölkerung bei einem Großunglück einigermaßen beruhigt werden kann. Der Beruhigungseffekt liegt darin, dass Fehler etwas Persönliches sind und somit nicht zu erwarten ist, dass ein anderer sie wiederholt. Gerne wird dabei auch auf die Nichtbeachtung von Bedienungsanleitungen und Sicherheitsrichtlinien verwiesen, die, wie der Betreiber betont, zwar vorhanden waren, nur leider nicht beachtet wurden.
Menschliches Versagen, wenn es sich schließlich als erwiesen herausstellt, ist für ein Unternehmen immer die beste Variante, vor allem in Hinsicht auf Haftung und mögliche Schadensersatzklagen. Bei menschlichem Versagen kommt der Betreiber am billigsten weg. Technische Fehler beziehungsweise Systemfehler hingegen sind für ein Unternehmen wesentlich schwerer zu begründen (siehe »Unsere Anlagen sind sicher«) und bedeuten meist als unangenehme Konsequenz, dass Schadensersatzklagen ins Haus stehen und Teile oder ganze Systeme einer Technik neu konzipiert oder sogar aufgegeben und neu konstruiert werden müssen. Dies spielt zum Beispiel bei der Auseinandersetzung zwischen der Fluggesellschaft Air France und dem Hersteller Airbus nach dem Unglücksflug AF447 eine zentrale Rolle.
Der Verdacht, dass bei einem Zwischenfall geschwiegen, vertuscht und beschönigt wurde, ist für den investigativen Journalismus natürlich Anlass zu recherchieren.
Die Journalistenvereinigung »Netzwerk Recherche« hat den Negativpreis für Auskunftsverweigerer in Politik und Wirtschaft »Verschlossene Auster« für 2011 den Energiekonzernen RWE, EnBW, Vattenfall und E.ON verliehen.
Zur Begründung hieß es, die Unternehmen hätten »beschönigt, beeinflusst und verheimlicht«. Heribert Prantl von der Süddeutsche Zeitung warf in seiner Laudatio den Konzernen »gefährliche, einseitige, marktmächtige Information« vor. Zugleich wurden mit dem Preis die Betreiber für »Verharmlosung von Gefahren und exzessiven Lobbyismus« ausgezeichnet. Während frühere Ausgezeichnete berechtigte Kritik einräumten, wies Guido Knott (RWE) die Vorwürfe der Jury in einer Gegenrede zurück.
Wenn ich zum Schluss meiner Beispiele von industriellen Unglücken und Katastrophen der verschiedensten Art ein Fazit in rein technischer Hinsicht ziehe, dann
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