Die Risikoluege
ist es dies, was Charles Perrow so beschreibt: »Jede Katastrophe ist ein erzwungener Fehler – die unabdingbare Konsequenz dessen, dass in hochkomplexen technischen Systemen eine Vielfalt eng gekoppelter und schneller Prozesse auftritt, deren Interaktion vorab nicht zu kalkulieren ist.... Es wirft ein grelles Schlaglicht auf die alltäglichen Gefahren unserer Großtechnik, dass bislang noch nach jedem Unfall die Konstrukteure kopfschüttelnd einräumen mussten, sie hätten sich diese spezielle Störungskonstellation nicht vorstellen können.«
Und deshalb sind die großen Katastrophen »normale« Katastrophen.
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Reden, Verschweigen, Agieren
Beruhigungsstrategien des Staates in Krisensituationen
In jeder Art von Krisen- und Gefahrensituation, vor allem aber bei Industrie- und Umweltkatastrophen, erwarten wir Bürger von den zuständigen Organen des Staates rückhaltlose Aufklärung und rasche Information. Meist erwarten wir sie vergeblich. Statt zu informieren wird nichtssagend geredet, statt offenzulegen wird verschwiegen, statt zu handeln wird agiert.
Reden
Wenn bei einer Umweltkatastrophe, einem Reaktorstörfall oder einem Chemieunglück Staat und Politik zunächst nichts Genaues sagen können, wird erst einmal informiert: Der Regierungschef informiert, der zuständige Minister informiert, die Sprecher beider und die der Fraktionen und Parteien informieren. Da wollen natürlich auch Unternehmen, Verbände, Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen, wirkliche und selbst ernannte Experten nicht zurück stehen – alle informieren.
Während die einen nicht müde werden, vor die Kamera
oder ans Mikrofon zu gelangen, um auf sich und ihre Botschaften aufmerksam zu machen, vertrauen die anderen, für die sich Funk und Fernsehen nicht interessieren, ihre Kenntnisse wenigstens der Neue Osnabrücker Zeitung oder der Passauer Neue Presse an. Und jeder geht davon aus, dass das, was er sagt, für uns Bürger zu wissen wichtig sei.
Es gibt Information, die Fragen zudeckt, und es gibt Information auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden. Es werden auch Fragen beantwortet, ohne dass die Antwortenden Antworten geben. Aber Antworten auf Fragen, die uns im Moment eines Unglücks brennend interessieren, die gibt es selten.
Ein Großteil der Arbeitskraft von Regierungsmitgliedern und Politikern wird in Krisenzeiten in die eigene Mediendarstellung investiert. Da bleibt wenig Zeit, sich auf Problemlösungen zu konzentrieren. Man achtet nur noch auf das, was die Medien über einen sagen. Der Politiker, der in dieser Zeit nachdenkt, bevor er redet, gerät ins Hintertreffen. Er wird von den Medien und damit von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Und nicht wahrgenommen werden ist für einen in der Öffentlichkeit Stehenden das Schlimmste überhaupt.
Beim Informieren werden bestimmte Statements, Floskeln und Gemeinplätze gerne und immer wieder verwandt, weswegen sie den meisten von uns wohlvertraut sind.
»So etwas kann bei uns nicht passieren«
Hierzulande eines der beliebtesten und promptesten Statements, das sowohl vom Betreibern wie auch vom Staat gerne in die Diskussion geworfen wird. So erzählte man es der Bevölkerung nach Tschernobyl und Schweizerhalle, und so hieß es zuletzt wieder nach Fukushima.
»Was in Fukushima passiert ist«, so Linde-Chef Wolfgang Reitzle in einem SZ-Interview, »kann hier nicht passieren.« Und da die technischen Anlagen sich meist nur schlecht bis gar nicht miteinander vergleichen lassen, scheint man solchen Aussagen auch nicht viel entgegenhalten zu können.
Hierzu sagt Frank Schirrmacher in seinem Essay »Rhetorik und Realität« in der FAZ: »Man muss unterscheiden zwischen dem Eintritt des GAU, der überall anders sein kann, und zwischen der Fähigkeit der Menschen, ihn danach in den Griff zu bekommen. Das eine ist die Ausnahme, das andere aber – wie wir jetzt zum dritten Mal sehen – die Regel. Fukushima zeigt, dass Menschen im GAU atomare Prozesse, die sie eingeschaltet haben, nicht abschalten können. Das aber ist eine Erkenntnis von normativer Qualität. Was wir in Fukushima sehen, kann überall auf der Welt passieren.«
Die Betreiber deutscher Kernkraftwerke werden Herrn Schirrmacher hierin vermutlich nicht zustimmen, denn sie sind davon überzeugt, dass nicht nur die Reaktoren bei uns stabiler, sondern auch die Betriebsmannschaften besser ausgebildet und ausgerüstet und somit auf Unvorhersehbares jederzeit eingerichtet sind: Sicherheitsqualität Made in
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