Die Risikoluege
Germany!
»Zu keiner Zeit bestand für die Öffentlichkeit eine Gefahr«
Diese immer wieder verwandte und zu unserer Beruhigung abgegebene Floskel kann man getrost als inhaltsleere Sprechblase betrachten. Für die Verursacher eines Zwischenfalls ist sie aber durch ihren ständigen Gebrauch mittlerweile durchaus zum Problem geworden, denn der
mit Lügen verwöhnte Bürger wird durch die Äußerung nicht etwa beruhigt, sondern eher hellhörig, weiß er doch, dass sich hinter der Äußerung meist das Gegenteil verbirgt.
»Absolute Sicherheit gibt es nicht«
»Ach wirklich?!«, möchte man zu diesem bis zum Erbrechen verwendeten Gemeinplatz sagen. Und ich frage mich, wie Manager und Politiker diese Binsenwahrheit immer noch als neue Erkenntnis in Umlauf bringen können. Aber vielleicht glauben sie ja tatsächlich etwas völlig Neues zu verkünden. Wie dem auch sei, was heißt sicher denn überhaupt?
Sicher bedeutet gefahrlos, und da es nichts gibt, was völlig gefahrlos ist, kann Sicherheit nur ein angestrebtes, nie aber ein erreichbares Ziel sein. Der Sicherheitsbegriff hat seine Nützlichkeit heute weitgehend verloren, nicht nur angesichts der immer schwerer zu durchschauenden und zu beherrschenden technischen Entwicklungen, sondern auch angesichts unserer ständig zunehmenden Kenntnisse über die Komplexität des Menschen und seines natürlichen Umfelds in einer globalisierten Welt. Um in der Öffentlichkeit keine falschen Erwartungen hervorzurufen, sollte der Begriff möglichst vermieden werden.
Weil sich der Begriff aber so gut anhört, wird er natürlich auch gerne verwendet. Da hörten wir im Zusammenhang mit dem 2011 durchgeführten Stresstest von einer Reaktor- Sicherheits -Kommission, welche die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke nach neuen Standards überprüfen sollte. (Also gibt es unterschiedliche Standards von Sicherheit?) Oder wir lesen auf der Homepage des Deutschen Atomforums, dass »der gefahrlose (womit ja
wohl sicher gemeint ist) Betrieb von Kernkraftwerken in Deutschland durch weltweit anerkannte höchste Sicherheits standards verbrieft ist«. (Wenn Sicherheit verbrieft werden kann, warum hat man es nicht längst getan?) Oder dass »die heimischen Kernkraftwerke die internationalen Sicherheits standards nicht nur erfüllen, sondern sogar darüber hinausgehen«. (Also noch sicherer als sicher?)
Diese Aussagen werden nur noch von Linde-Chef Reizle getoppt, der als studierter Diplomingenieur zur Sicherheit von Kernkraftwerken die erstaunliche Aussage macht: »Sie sollten so sicher sein, dass überhaupt kein Störfall mehr denkbar ist.« Ja, wenn nur alles, was denkbar ist, auch realisierbar wäre!
Überall also tummelt sich dieses Wort Sicherheit. Man braucht sich somit nicht zu wundern, dass die Leute enttäuscht sind, wenn sie feststellen, dass es diese Sicherheit, die ihnen ständig vorgegaukelt wird, gar nicht gibt.
»Bei der Frage der Sicherheit darf und kann es keine Kompromisse geben«, sagte die Kanzlerin im Anschluss an ein nach Fukushima eilig zusammengerufenes Ministertreffen im Kanzleramt. Auch wenn Frau Merkel Physikerin ist und auch einmal Bundesumweltministerin war, muss man ihr sagen, dass ihre Aussage den Charme reiner Unkenntnis besitzt. »Keine Kompromisse« klingt zwar gut, ist nun aber mal falsch. Bei Fragen der Sicherheit geht es immer um Kompromisse, und zwar zwischen dem technisch Machbaren und dem ökonomisch Möglichen. Entweder die Kanzlerin weiß das nicht, dann ist sie in Fragen der Sicherheit nicht die Richtige für uns, oder sie weiß es, sagt aber etwas anderes, dann ist sie auch nicht die Richtige.
Verschweigen
Nicht nur Reden gehört bei Katastrophen zum politischen Verhaltensrepertoire, auch das Verschweigen gehört dazu — Brust an Brust mit dem großtechnischen Unglücksverursacher. Der Reaktorunfall im britischen Windscale, bei dem am 10. Oktober 1957 die Brennstäbe in Brand gerieten und die Umwelt radioaktiv verseuchten ohne dass die Bevölkerung davon erfuhr, wurde tagelang verschwiegen und erst 30 Jahre später offiziell bestätigt. Er ist ein Beispiel dafür, dass Schweigen und Verschweigen in der Krise nicht nur für Industrieunternehmen, sondern auch für die Politik geläufige Praktiken sind.
Vier Tage hatte es in Windscale gedauert, bevor die Verantwortlichen ein ausgebrochenes Feuer zugaben. Die Werksleitung begründete dies damit, dass man die Bevölkerung erst dann habe informieren wollen, wenn man ihr auch sagen konnte, ein Mittel zum
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