Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
sagte ich und verließ zusammen mit Olja den Raum, die als geräuschloser Schatten in Richtung Küche entschwand.
In den Gängen herrschte ein eigenartiges Licht. Einerseits war es düster, da es bereits Abend war und dichte Wolken den Himmel verhüllten, andererseits wurde das wenige vorhandene Licht ziemlich grell von der weißen Schneedecke reflektiert. So entstand eine Art Zwielicht, das die Wände um mich herum in ein gespenstisches Grau tauchte.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte ich die Wachturmtreppe empor. Ob Chris sich tatsächlich dort oben aufhielt? Was hatte er bei der lausigen Kälte dort verloren?
Auf der Aussichtsplattform lag eine dicke Schicht Schnee, der beim Darübergehen sanft knirschte und sich weich wie Pappelflaum anfühlte. Von Chris - keine Spur. Trotz Kälte und Schneetreibens blieb ich für kurze Zeit oben, denn die Aussicht auf die Insel in ihrem neuen Schneegewand war beeindruckend.
Von der weißen Pracht überzuckert, wirkte das Eiland noch mehr als zuvor wie ein Spielzeug, wie ein Untersetzer aus weißem Kunststoff, auf dem sich das Miniaturmodell einer mittelalterlichen Burg erhob. Der See inmitten der Insel war bereits völlig zugefroren. Unter der Last der Schneemassen bogen sich die Äste der wenigen Bäume; sie hatten keine Zeit mehr gehabt, die Blätter abzuwerfen. Der Landehügel ragte als sanft geschwungener weißer Rücken aus der Ebene heraus und schimmerte im diffusen Abendlicht. Für einen Neuankömmling wäre es ein interessanter Zeitpunkt für eine Landung gewesen: einerseits schön weich, aber andererseits...
Das Meer war inzwischen fast vollständig mit Eis bedeckt. An manchen Stellen schien es noch sehr dünn zu sein, man konnte deutlich das dunkle Wasser hindurchscheinen
sehen. Hier und da hatten sich verzweigte, schmale Rinnen gebildet, die sich wie eingemeißelte schwarze Muster von der grauen Eisfläche abhoben. Bis zum Morgen würde der klirrende Frost auch diese Risse im Eispanzer des Meeres geflickt haben. Der Augenblick, in dem wir unser letztes Gefecht würden führen müssen, rückte näher und näher.
Gedankenverloren stieg ich die Treppe hinab und hoffte, Chris in seiner Kammer anzutreffen. Die Tür war nicht abgesperrt, und drinnen war es stockfinster, da die Fensterläden geschlossen waren. Ich wollte schon wieder gehen und woanders weitersuchen, als ich plötzlich ein leises, unterdrücktes Seufzen vernahm.
»Chris?«
Keine Antwort. Auf dem Tisch tastete ich nach Kerze und Streichhölzern und machte Licht. Man musste sich daran gewöhnen, dass auf den Inseln alles Wichtige zu später Stunde oder nachts geschah. Die Tage vergingen einer wie der andere, nachts hingegen lösten sich die Zungen und eröffneten sich überraschende Geheimnisse.
Chris lag weinend auf seinem Bett. Betroffen setzte ich mich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Chris, was ist los?«, fragte ich leise.
Zögerlich hob er den Kopf. »Ach, du bist’s, Dima, unser tapferer Freund.« Seine Augen glänzten feucht und blickten mich nervös rollend an, als könnte er sie nicht ruhig auf einen Punkt richten.
»Weine nicht«, sagte ich und schluckte an einem Kloß in meinem Hals. »Keiner hat bis jetzt die Hoffnung verloren, Chris, nicht einmal die Mädchen. Vielleicht wird es ja doch wieder wärmer, und das Eis...«
Chris unterbrach mich mit einem hysterischen Lachen.
»Dima, kleiner, dummer Dima. Denkst du vielleicht, ich hätte Angst?«
Seine herablassende Art ärgerte mich.
»Ja, denke ich.«
»Ach Quatsch!« Nach kurzem Schweigen fuhr er mit dünner Stimme fort: »Es ist so merkwürdig. Als ich noch dort lebte... Ich ging in die Schule, und auf dem Weg dorthin musste ich eine Straße überqueren. Eine breite Straße, auf der viel Verkehr war. Und mein Vater - ich hatte einen sehr strengen Vater, der eher dazu neigte, mich zu bestrafen, als mich zu loben - begleitete mich und führte mich über die Straße. Ein ganzes halbes Jahr lang, bis er endlich kapiert hatte, dass ich schon längst imstande war, selbstständig jede noch so breite Straße zu überqueren. Damals konnte ich nicht verstehen, warum er sich solche Sorgen um mich machte... Jetzt verstehe ich es.«
»Chris, hör mal«, erwiderte ich äußerst befremdet, »wenn du der Meinung bist, wir seien alle deine Kinder... Vielen Dank, aber wir können auch schon selbst über die Straße gehen.«
»Manchmal bist du wirklich ein dummer Junge«, sagte Chris ruhig. »Mit so einem Bengel wie
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