Die Ritter des Nordens
da war? Und wenn ja: War er als Sieger oder als Besiegter aus Scrobbesburh heimgekehrt?
Solche Fragen schossen mir durch den Kopf, als plötzlich die Tür aufflog und ein Schwall kalter Luft hereinströmte. In der Tür stand Dyfnwal, dessen kahler Schädel im Fackelschein glänzte. Um die Hüfte trug er immer noch meinen Schwertgurt.
»Es ist so weit«, sagte er. »Eadric ist da.«
»Er ist hier?«
Der Waliser brummte: »Sogar früher, als wir eigentlich mit ihm gerechnet hatten. Er wartet schon auf Euch.«
Eadric der Wilde. Der Mann, über den ich in letzter Zeit so viel gehört hatte.
Dann machte Dyfnwal den Weg frei, und zwei andere Männer kamen herein. Der Größere der beiden hatte einen Schlüsselring in der Hand, an dem er sich zu schaffen machte, bis er den passenden Schlüssel für meine Ketten gefunden hatte. Dann waren meine Hände und Knöchel zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wieder frei. Trotzdem hatte niemand zu befürchten, dass ich Gewalt anwenden oder gar einen Fluchtversuch unternehmen würde. Denn obwohl sich meine Füße inzwischen von dem langen Fußmarsch nach Mathrafal erholt hatten, waren sie noch längst nicht so kräftig, wie sie hätten sein sollen. Mir tat der Nacken weh, und ich konnte den Kopf kaum aufrecht halten.
Draußen im Hof waren ungefähr zwei Dutzend Krieger versammelt. Sie hielten jeweils in einer Hand einen Speer und in der anderen einen bunt bemalten, runden Schild. Angeführt wurden sie von Bleddyns berittenem teulu , also von den Männern, die mich auf dem Marsch nach Mathrafal bewacht hatten. Sie waren ausgerüstet, als würden sie in eine Schlacht ziehen. Irgendwo bellten Hunde, und ein Hahn, der von dem Treiben offenbar wach geworden war, fing an zu krähen, obwohl es noch völlig dunkel war. Auch von Eadric war weit und breit nichts zu sehen, obwohl die Tore der Festung weit geöffnet waren. Dahinter war alles schwarz. Denn der Mond und die Sterne waren hinter schweren Wolken verborgen, sodass nicht einmal der Fluss zu sehen war.
Dyfnwal sprach mit einem der Wächter oben auf der Mauer und stellte ihm offenbar eine Frage, doch der Mann schüttelte den Kopf.
»Er wartet draußen auf uns«, teilte Dyfnwal mir daraufhin in seinem holprigen Französisch mit. »Scheint Angst zu haben. Eadric der Wilde spielt zwar gerne den großen Mann, trotzdem weiß er natürlich, dass wir ihn in der Hand haben, wenn er auch nur einen Fuß in diese Festung setzt.« Er verzog angewidert das Gesicht und spähte dann zum Tor hinaus, wo in einiger Entfernung mehrere Laternen, blitzende Speerspitzen und hell schimmernde Kettenpanzer zu erkennen waren. »Kann sein, dass König Bleddyn die Untaten des Mannes dort draußen schon vergessen hat, aber in unseren Reihen gibt es immer noch viele, die Eadric bis heute nicht verziehen haben.«
So viele Worte hatte der missmutige Waliser mir gegenüber noch nie verloren; überhaupt hatte ich seit Wochen keinen solchen Redeschwall mehr gehört. Ich überlegte, was seine Worte bedeuten mochten. Natürlich: Wenn Eadric unter dem alten König in den Marken Ländereien besessen hatte, war er zweifellos schon einmal mit dem einen oder anderen der Männer aneinandergeraten, mit denen er jetzt verbündet war. Das lag alles zwar schon ein paar Jahre zurück, trotzdem gab es offenbar noch genügend Waliser, die dem Mann an den Kragen wollten.
»Dilynwch fi«, herrschte Dyfnwal seine Männer an und sagte dann zu mir: »Los, gehen wir.«
Wir gingen zum Tor hinaus und folgten dem durch tiefe Spuren markierten Weg, der neben dem Fluss herlief. Ungefähr zweihundert Schritte vor der Festung erreichten wir einen Stein, der etwa in Reichweite der Pfeile lag, die von den Bogenschützen oben auf der Festungsmauer abgeschossen wurden. Offenbar sollte die Markierung Menschen, die sich der Anlage in feindlicher Absicht näherten, daran erinnern, dass sie von nun an mit tödlichem Pfeilbeschuss zu rechnen hatten. Eadric und sein Gefolge hatten ein Stück jenseits des Steins haltgemacht und waren von den Pferden gestiegen. Ob das lediglich ein Zufall war oder wirklich von jener Feigheit zeugte, auf die Dyfnwal angespielt hatte, vermochte ich nicht zu beurteilen. Der Fürst wurde von mindestens dreißig berittenen Kriegern begleitet; dazu kamen noch ein Ochsenkarren, ein dunkel gekleideter Mann, der wie ein Priester oder Mönch aussah, und ein Jäger mit einem Hunderudel. In der Tat ein beeindruckendes Gefolge, das aber wohl nur dazu diente, Eadrics Status
Weitere Kostenlose Bücher