Die Ritter des Nordens
Offenbar ist er sehr zornig auf Euch. Ich weiß zwar nicht genau, warum, aber Ihr wisst es ja vielleicht.«
Er sah mich schelmisch an. Offenbar war ihm der Grund zwar bekannt, doch er wollte ihn von mir selbst hören. Aber auch zu diesem Spiel gehörten zwei, und ich hatte nicht die Absicht, ihn großzügiger mit Informationen zu bedienen, als er es umgekehrt für nötig gehalten hatte.
»Was vermutest du denn?«
»Wie gesagt«, erklärte er achzelzuckend. »Ich glaube, ich weiß, warum er Euch an den Kragen will. Wie man hört, wart Ihr es, der in Eoferwic das Stadttor geöffnet, den Angriff gegen den Ætheling angeführt, ihn auf der Brücke zum Zweikampf gestellt und ihn dabei schwer verwundet und fast getötet hat.«
Er hielt inne, weil er wohl auf eine Bestätigung wartete. In groben Umrissen gab seine Geschichte die Tatsachen richtig wieder, obwohl die damaligen Geschehnisse in den Wochen nach der Schlacht zunehmend aufgebauscht worden waren. Ich hatte das Tor nämlich nicht allein, sondern zusammen mit meinen Waffenbrüdern Eudo und Wace sowie einigen anderen Kriegern eingenommen. Tatsächlich hatte ich das Schwert mit Eadgar gekreuzt, ihm sogar eine Wunde beigebracht, doch das war einfach nur dumm von mir gewesen und lediglich in der Hitze des Gefechts geschehen. Im Übrigen war ich derjenige gewesen, der in dem Zweikampf fast ums Leben gekommen war, und nicht etwa er. Wenn mir meine Freunde nicht zu Hilfe geeilt wären, hätte ich den Tag damals wahrscheinlich nicht überlebt, und man würde heute ganz andere Geschichten über mich erzählen.
»Na gut«, fuhr Byrhtwald fort, »vielleicht täusche ich mich ja auch, und die Leute meinen einen ganz anderen Tancred, obwohl Euer Name hierzulande so selten ist, dass ich mir das nicht richtig vorstellen kann.«
Es war sinnlos, weiterhin zu leugnen. »Es stimmt schon, was du sagst.«
Er schüttelte traurig den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. »Verdammt peinlich, dass ich jetzt erst darauf gekommen bin. Bisher habe ich nämlich immer gedacht, dass Männer, die solche Heldentaten vollbringen, einen Kopf größer sein müssen als Ihr.«
»Größer?« Ich war zwar nicht gerade ein Riese, trotzdem war ich alles andere als klein.
»War nur ein Scherz«, sagte der Engländer. »Aber jetzt mal im Ernst, Mylord. Euch eilt ein gewaltiger Ruf voraus. Auf den großen Adelssitzen oben im Norden wagt man es kaum, Euren Namen laut auszusprechen. Auch der Ætheling zittert vor Euch. Er weiß noch genau, wie Ihr ihn damals vorgeführt habt, und er bestraft jeden, der es wagt, Euren Namen im Mund zu führen. Deshalb hat er diesen Preis auf Euren Kopf ausgesetzt. Auch wenn Eadric der Wilde nicht der Einzige ist, der es auf das Kopfgeld abgesehen hat, solltet Ihr ihn am meisten fürchten.«
»Was willst du damit sagen?«
»Dass er ein sehr mächtiger und gefährlicher Mann ist und man ihm besser nicht in die Quere kommen sollte. Er ist gerissener, als Ihr vielleicht glaubt, und verfolgt seine Ziele völlig rücksichtslos. Deshalb solltet Ihr ihn keinesfalls unterschätzen, vor allem jetzt nicht mehr, seit er die Waliser als Verbündete gewonnen hat.«
»Wenn die Waliser uns wirklich angreifen wollten, wüsste ich das längst«, sagte ich. »Dann hätte mich der König schon zum Heeresdienst einberufen, und wir wären jetzt gerade damit beschäftigt, selbst eine Armee aufzustellen.«
»Ich bin nur der Überbringer der Botschaft. Ob Ihr auf mich hört, liegt einzig bei Euch. Aber vergesst nicht: Ich habe Euch noch nie eine Unwahrheit verkauft.«
Ich hatte gewisse Zweifel daran, ob das stimmte. Und noch weniger konnte ich glauben, was er über das walisische Heeresaufgebot gesagt hatte. Trotzdem hielt ich den Mund, und wir redeten bald über andere Dinge. Über die Rebellen im Norden oder die Dänen jenseits des Meeres wusste Byrhtwald nichts zu berichten. Und das fand ich viel beunruhigender. Denn je weniger wir von diesen Leuten hörten, umso plausibler erschien mir, dass Serlo vielleicht recht hatte, und der Feind sammelte gerade seine Kräfte, um im richtigen Augenblick mit aller Macht gegen uns loszuschlagen. Es lag etwas in der Luft, auch wenn wir noch nicht genau wussten, was.
Doch solange der Feind nicht in Erscheinung trat, konnten wir nichts tun außer warten. Und genau das war es, was mir am ritterlichen Dasein am wenigsten behagte. In der Hitze des Gefechts, wenn ringsum die Klingen klirrend aufeinandertrafen, die Schildbuckel mit lautem Getöse
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