Die Ritter des Nordens
Männer des Schwertes in Earnford versammelt zu sehen – ein Gefühl, das die Dorfleute offenkundig teilten. Denn in ihren Gesichtern war eine Mischung aus Neugier, Angst und Ehrfurcht zu erkennen.
»Ihr könnt Euch glücklich schätzen, Tancred«, unterbrach Robert meine Betrachtungen.
»Wieso das, Mylord?«
Unsere Stiefel knarrten auf dem weichen Boden. In der Ferne kreisten zwei Milane über dem Wald.
»Weil Ihr bis jetzt von den Unruhen und dem Blutvergießen verschont geblieben seid, von denen das übrige Reich gerade heimgesucht wird«, sagte er. »Darum beneide ich Euch.«
Ich sah ihn schief an. Wenn er glaubte, dass wir hier ein sorgloses Leben führten, hatte er sich gründlich getäuscht.
Doch er hatte meinen Blick entweder gar nicht registriert oder zumindest nicht sonderlich ernst genommen, denn er schüttelte bloß den Kopf und fuhr fort: »Manchmal kann ich es kaum fassen, dass es schon fast vier Jahre her ist, seit wir über das Schmale Meer gekommen sind, seit der Usurpator bei Hæstinges den Tod gefunden hat. Trotzdem bricht immer noch fast monatlich irgendwo im Königreich ein Aufstand aus.«
Mir fiel wieder ein, dass schon sein Vater Guillaume Malet so gesprochen hatte, als ich vor einem Jahr in Roberts Dienste getreten war. Ich sah Robert an, und sogleich stand mir die damalige Situation im Schloss des Vicomte wieder vor Augen; sofort stellte sich dieselbe düstere Vorahnung wieder ein wie an jenem Tag.
»Aber das ist doch nichts Neues, Mylord.«
»Vielleicht nicht, aber trotzdem nicht sehr beruhigend«, entgegnete Robert immer noch mit demselben grimmigen Gesicht. »Jede Woche hören wir von Normannen, die auf der Landstraße überfallen oder auf ihren Landsitzen ermordet werden. Und dann sind da noch die Geschichten von den Banden bewaffneter Männer – mal zu Dutzenden, mal zu hunderten –, die sich in den Wäldern und Sümpfen zusammenrotten, um sich demnächst gegen uns zu erheben und uns ein für alle Mal von dieser Insel zu vertreiben.«
»Glaubt Ihr etwa an diese Gerüchte?«, versuchte ich zu sticheln. Doch Robert ging darauf nicht ein.
»Das kann ich nicht genau sagen«, räumte er ein. »Aber können wir es uns denn leisten, sie einfach zu ignorieren? Wenn sich am Ende herausstellt, dass sie stimmen, könnten wir sehr schnell alles wieder verlieren, was wir uns so hart erkämpft haben.«
Zweifellos waren die Geschichten, die er gehört hatte, übertrieben. Trotzdem wusste ich natürlich so gut wie er, dass solche Nachrichten meist einen wahren Kern hatten.
Wir gingen schweigend ein paar Schritte nebeneinander her, dann fragte ich: »Und was ist mit dem Ætheling? Gibt es irgendwelche Neuigkeiten über ihn?«
»Bisher noch nicht«, sagte Robert. »Er hält sich immer noch oben im Norden in der Wildnis versteckt. Allerdings weiß niemand genau, wo.«
Immerhin eine erfreuliche Auskunft, wenngleich sie mich nur wenig beruhigte. Eadgar Ætheling war weit und breit der Einzige, dem ich es zutraute, die untereinander zerstrittenen Adelshäuser von Northumbria zu einer gemeinsamen Aktion gegen uns aufzuwiegeln. Immerhin war er der letzte noch lebende Erbe der alten englischen Königsdynastie und hatte schon zweimal nach der Krone gegriffen: zum ersten Mal bereits kurz nach der Niederlage bei Hæstinges. Damals hatten ihm die Earls allerdings ihre Unterstützung verweigert, sodass er sich König Guillaume schließlich hatte unterwerfen müssen. Im vergangenen Jahr hatte er dann einen zweiten Anlauf unternommen und versucht, mit Unterstützung seiner Verbündeten aus dem Norden Englands und ausländischer Söldner Eoferwic einzunehmen. Seine Anhänger hatten ihn dort sogar schon zum König ausgerufen, und zwar nicht nur zum König von Northumbria, sondern von ganz England.
Doch solange der Ætheling sich im Norden aufhielt, konnte ich für das Königreich keine größere Gefahr erkennen. Denn es gab sonst niemanden, der aufgrund seines Status und seines Ansehens eine Armee hätte führen können, die stark genug gewesen wäre, um uns zu schlagen. Der Letzte, dem dies beinahe gelungen wäre, war Harold Godwineson gewesen, der bei Hæstinges fast gesiegt hätte, auch wenn die Dichter, die später diese Schlacht besungen haben, uns etwas anderes glauben machen wollten. Seit Harolds Tod gab es nur noch Eadgar, und solange dieser keine Armee aushob, waren die Gerüchte, die Robert gehört hatte, tatsächlich vor allem eines: Gerüchte.
Wir gingen durch das Torhaus, dann trat ich
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