Die Ritter des Nordens
freuen, Euch wiederzusehen«, sagte Robert. »Es ist ja nun schon wieder eine Weile her, seit Ihr sie zuletzt gesehen habt.«
Als er so unvermittelt den Namen seiner Schwester erwähnte, sah ich ihn erstaunt an. »Beatrice?«
Ich hatte schon ewig nicht mehr an sie gedacht. Vergangenes Jahr hatte ihr Vater mich zu ihrem Beschützer bestellt und mich beauftragt, sie sicher nach Lundene zu geleiten. Dort hatten wir uns einmal geküsst: das erste Mal seit Oswynns Tod, dass ich wieder eine Frau berührt hatte. Offen gestanden, war ich nicht zuletzt ihretwegen in Roberts Dienste getreten, da ich mich damals noch der Hoffnung hingegeben hatte, sie als Vasall ihres Bruders häufiger zu sehen.
Doch sobald wir den Aufstand damals niedergeschlagen hatten, war sie in die Normandie zurückgekehrt, und ich war nach Earnford übergesiedelt, und meine Erinnerung an sie war allmählich verblasst, ohne dass ich es richtig mitbekommen hatte. Einige Zeit später hatte ich Leofrun gefunden und Beatrice vergessen. Bis zu diesem Augenblick.
Robert wusste natürlich nichts von alledem. Niemand wusste etwas davon: nur seine Schwester selbst und ich, und ich vertraute darauf, dass sie nie mit jemandem über unsere kleine Affäre gesprochen hatte.
»Sie reist mit Fitz Osberns Conroi«, sagte Robert. »Eigentlich müssten sie sich gestern früh auf den Weg gemacht haben. Wenn wir heute Abend nach Scrobbesburh kommen, müsste sie schon da sein. Eigentlich wollte ich es Euch schon längst erzählen, aber dann ist so viel passiert, dass ich nicht dazu gekommen bin. Was denkt Ihr, weshalb ich Euch den Einsatzbefehl persönlich überbracht habe und nicht einer von Fitz Osberns Boten? Weil ich mich derzeit wegen Beatrice hier in den Marken aufhalte.«
Ich hatte bis dahin angenommen, dass er in der Gegend war, um Verwandte oder Vasallen zu besuchen, also aus privaten Gründen, die mich nichts angingen.
»Wie darf ich das verstehen, Mylord?«
»Beatrice wird demnächst wieder heiraten – wenigstens hoffen wir das.«
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag, lösten in mir unerklärliche Gefühle aus. Nicht Liebe oder Eifersucht, sondern irgendetwas anderes, das ich nicht beschreiben konnte.
»Heiraten?«, sagte ich. »Wen denn?«
Robert blickte starr geradeaus, schien mein Unbehagen gottlob nicht zu bemerken.
»Fitz Osberns Sohn«, sagte er. »Ich habe Beatrice nach Hereford begleitet, um die Verbindung dort persönlich einzufädeln und die Bande zwischen unseren beiden Häusern so zu stärken.«
Fitz Osbern hatte mehrere Söhne; allerdings konnte ich mich an sie nicht erinnern, obwohl sie mir gewiss schon über den Weg gelaufen waren. In der Tat ließ sich mit Hilfe einer solchen Verbindung eine mächtige politische Allianz schmieden. Denn während Fitz Osbern vor allem im Süden und Westen des Königreichs über großen Einfluss gebot, gehörten die Malets zu den mächtigsten Familien im Norden und Osten des Landes.
»Und wann?«
»Nicht so bald«, sagte Robert. »Wir waren kaum in der Gegend eingetroffen, als die Meldung einging, dass der Feind auf der anderen Seite des Grenzwalls ein großes Heer zusammenzieht. Ich habe zwar schon mit Fitz Osbern persönlich über das Thema gesprochen, und er hat auch schon in die Verbindung eingewilligt. Allerdings haben wir noch keine offizielle Vereinbarung getroffen. Aber wir sollten die Eheverhandlungen wohl ruhen lassen, solange die Waliser das Königreich bedrohen.«
Ich wusste weder, was ich darauf sagen, noch, was ich empfinden sollte. Jedenfalls behagte mir die Vorstellung, dass Beatrice verheiratet werden sollte, ganz und gar nicht, obwohl mich das selbst überraschte. Ich hatte sie schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen; tatsächlich wusste ich nicht einmal genau, was sie bei unserer letzten Begegnung für mich empfunden hatte. Doch ich wusste noch, wie sie sich damals nach dem Kuss aus meinen Armen befreit hatte: fast, als ob sie sich schämte. In den Monaten danach hatte ich noch gelegentlich an die merkwürdige Situation zurückgedacht. Und je häufiger ich daran gedacht hatte, umso leichter war es mir gefallen, mir Beatrice aus dem Kopf zu schlagen.
»Und wie sieht es bei Euch aus?«, riss Robert mich aus meinen Gedanken. »Denkt Ihr eigentlich gar nicht daran, Euch eine Frau zu suchen und Söhne zu zeugen, um die Zukunft Eures Stammbaums zu sichern?«
»Ich habe doch Leofrun.«
»Das meine ich nicht«, sagte er. »Wir alle haben gewisse Bedürfnisse, das ist doch ganz
Weitere Kostenlose Bücher