Die Ritter des Nordens
die der Grund dafür waren, dass wir hier so zusammengepfercht waren. Zuerst hatte Robert mich gedrängt, überstürzt in Earnford aufzubrechen, und jetzt saßen wir hier auf unserem Hintern und warteten darauf, dass sich Fitz Osbern endlich zu einer Entscheidung durchringen würde. Diese ganze Situation zehrte an meinen Nerven, und ich muss freimütig einräumen, dass ich in jener Woche ziemlich unausstehlich war.
Das hätte gewiss auch Eudo bestätigen können, dem ich einmal in einem Übungskampf fast den Kopf zertrümmert hätte. Wir kämpften zwar nicht mit Schwertern, sondern bloß mit Holzknüppeln, aber ein Treffer mit so einem Knüppel konnte ebenfalls schweren Schaden anrichten; das wusste ich aus eigener Erfahrung. Als Eudo bei einem Schlag ins Stolpern geriet, reagierte ich instinktiv und ohne nachzudenken, sah seine fehlende Deckung und versuchte ihn mit einer Rückhand mit aller Kraft am Kopf zu treffen. Er sah den Schlag jedoch rechtzeitig kommen und konnte sich gerade noch ducken. Dabei verlor er jedoch das Gleichgewicht und landete mit dem Gesicht voraus im Dreck, was einige Umstehende mit schadenfrohem Kichern quittierten.
Eudo rappelte sich schimpfend wieder vom Boden hoch, übersah die Hand, die ich ihm helfend entgegenstreckte, und baute sich mit tiefrotem Gesicht vor mir auf. »Verdammt noch mal, Tancred, was fällt dir ein? Willst du mich etwa umbringen?«
»Hast du dir wehgetan?«
»Ich werd’s überleben. Aber was hast du dir eigentlich dabei gedacht?« Er sah mich angewidert an, spuckte aus, wischte sich den Schmutz aus dem Gesicht und putzte sich die Hand an Rock und Hose ab.
»Wenn ich das wüsste.«
»Vielleicht überlegst du dir beim nächsten Mal vorher, was du tust. Du bist ja auf mich losgegangen, als ob ich Eadgar Ætheling höchstpersönlich wäre.«
Die Sonne war inzwischen fast untergegangen, und Eudo hatte keine Lust mehr weiterzuüben. Daher verließen wir den Übungsplatz und gingen an Koppeln mit friedlich grasenden Pferden vorbei zu dem Zelt mit dem schwarz-goldenen Banner. Unterwegs holperten mit Heu, Alefässern oder Strohgarben beladene Ochsenkarren an uns vorbei. Hier und da stiegen uns Gemüsearomen und Bratenduft in die Nase. Unten am Fluss waren die sanften Töne einer Flöte zu hören; ein paar offenbar betrunkene Männer stimmten in die Melodie ein und sangen ein Lied von fernen Landen.
»Ich bin völlig frustriert«, sagte ich, während wir dahinschlenderten. »Je länger wir hier untätig herumsitzen, umso schlimmer wird doch die Lage. Manchmal wünsche ich mir fast, dass die Waliser endlich angreifen – falls sie überhaupt die Grenze überschreiten.«
»Du brauchst mal wieder eine gute Frau«, sagte Eudo. »Dann kommst du auf andere Gedanken. Fitz Osbern hat zwar die Freudenhäuser schließen lassen, aber mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche bekommst du hier in der Stadt alles, was das Herz begehrt. Da gibt es zum Beispiel in der Nähe des Stadttors ein Gasthaus mit sehr hübschen Mädchen – und nicht mal so teuer.«
»Der Preis ist mir egal«, sagte ich. »Aber mich interessieren nur gepflegte Mädchen. Die Letzte, an die ich geraten bin, hat gestunken, als ob sie sich seit zehn Jahren nicht mehr gewaschen hätte.«
Eudo lachte. »Wenn ich mich recht entsinne, hast du doch eine Vorliebe für schlanke Mädchen. Wenn ich das nächste Mal in dem Lokal bin, achte ich darauf, ob ich dort so eine sehe.«
»Apropos«, fragte ich. »Was ist eigentlich aus Censwith geworden?«
Von allen Mädchen, mit denen Eudo zu tun gehabt hatte, war sie die Einzige, die er immer wieder aufgesucht hatte. Dass er überhaupt ihren Namen erwähnt hatte, war schon eine Auszeichnung gewesen. Seit ich ihn kannte, hatte sich sein Interesse an romantischen Abenteuern stets in Grenzen gehalten, allerdings hatte ich mir dabei zunächst nichts gedacht. In den Wochen nach Eoferwic hatte er öfter davon gesprochen, dass er das Mädchen unbedingt von dem Mann in Sudwerca freikaufen und sogar heiraten wollte.
»Was aus ihr geworden ist?«, sagte Eudo. »Sie ist tot. Sie hat im vergangenen Frühjahr ein Fieber bekommen, von dem sie sich nicht mehr erholt hat. Als ich sie zuletzt gesehen habe, lag sie auf dem Sterbebett. Ich werde gewiss nie vergessen, wie schwach und elend sie an dem Tag aussah, obwohl ich nicht einmal genau weiß, ob sie mich überhaupt noch erkannt hat.«
»Das tut mir leid«, sagte ich, weil mir nichts anderes einfiel.
Eudo gab einen Stoßseufzer von sich.
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