Die Ritter des Nordens
»Schade, dass ich sie nicht rechtzeitig freikaufen konnte. Aber falls es im Himmel Freudenhäuser gibt, hoffe ich, dass ich sie dort eines Tages wiederfinde.«
Ich legte ihm mitfühlend den Arm um die Schulter. Wir waren nicht mehr weit vom Zelt des Kommandanten entfernt, als hinter uns ein Kriegshorn erscholl. Als ich mich umdrehte, sah ich auf der anderen Seite des Flusses einen großen Truppenverband, der auf die Brücke zuhielt: nach meiner Schätzung mehrere hundert Mann, die meisten davon auf kleinen Arbeitspferden, oder vielleicht waren es auch kräftige Ponys. Dem Zug wurde ein mir unbekanntes Banner vorangetragen, das auf grünem Grund eine goldgelbe Schlange zeigte.
»Kennst du das Wappen?«, fragte Eudo.
»Hm, ich weiß nicht recht.« Der Earl Hugues hatte jedenfalls ein anderes Zeichen, da war ich mir sicher. Tatsächlich kannte ich im gesamten Grenzland keinen Marcher Lord, der eine Schlange im Wappen führte. Andererseits musste ein Lord, der mehrere hundert Mann aufbieten konnte, in mehreren Grafschaften über Land und Vasallen verfügen. Wenn ein so mächtiger Mann im Feldlager erwartet wurde, hätte ich das eigentlich wissen müssen.
Der Trupp machte auf der freien Fläche vor der Brücke halt. Wieder erklangen die Hörner. Einige Reiter saßen ab und winkten den Rittern zu, die schon einen mehrreihigen Schildwall gebildet hatten, um die Brücke zu schützen. Ich hatte den Eindruck, dass es sich bei den merkwürdigen Besuchern nicht um einen Kampfverband, sondern um eine Art Delegation handelte.
Dann lösten sich zwei Reiter aus der Formation und näherten sich der Brücke. Ein Stück dahinter folgte der Bannerträger, der die grün-gelbe Fahne so schwenkte, dass alle es sehen konnten. Wegen der großen Entfernung war es schwierig, das Geschehen im Einzelnen zu verfolgen, trotzdem konnte ich erkennen, dass die beiden Männer in voller Kriegsmontur erschienen waren: Die Griffe ihrer Schwerter waren mit Rubinen besetzt, und sie trugen Spangenhelme mit Nasenschutz und Wangenklappen, die mit glänzendem Gold plattiert waren. Offenbar geboten sie über beträchtlichen Reichtum und scheuten sich nicht, diesen auch zur Schau zu stellen.
»Fitz Osbern«, rief einer von ihnen, der die Hände trichterförmig um den Mund gelegt hatte. »Wir möchten mit Fitz Osbern sprechen!«
Der Mann sprach ein holpriges Französisch, und ich hielt ihn zunächst für einen Engländer: einen jener Thane, die sich nach der Schlacht von Hæstinges König Guillaume unterworfen hatten, statt den Kampf fortzusetzen. Im Gegenzug hatte der König ihnen die Verfügungsgewalt über ihre Ländereien belassen. Dafür mussten sie jedoch gegen ihre eigenen Landsleute kämpfen und mit uns ins Feld ziehen, obwohl unsere Krieger sie als Überläufer verachteten und ihre Treueschwüre für wertlos hielten. Ihre Namen und Feldzeichen waren jedoch allgemein bekannt, und eine goldene Schlange gehörte nicht dazu.
Fitz Osbern musste erst benachrichtigt werden. Er hielt sich nämlich nicht in seinem Zelt auf, sondern oben auf der Burg, wo er sich mit dem Burgvogt Roger de Montgommeri – einem Verwandten, der in der Normandie auch das Amt eines Vicomte bekleidete – und anderen Edelleuten beriet, darunter auch Lord Robert. Es dauerte eine ganze Weile, bis er erschien, doch schließlich sah ich ihn. Ich erkannte ihn an seinem grauen Haar und der beginnenden Glatze. Er ritt an der Spitze einer etwa zwanzig Mann starken Formation gepanzerter Reiter und traf auf der Brücke mit den beiden Männern zusammen. Was genau gesprochen wurde, war nicht zu verstehen, doch die beiden Fremden knieten vor ihm nieder, nahmen ihre vergoldeten Helme ab und neigten die Köpfe. Kurz darauf bedeutete Fitz Osbern ihnen, wieder aufzustehen, und dann folgten sie ihm – von je einem Dutzend Speerträgern begleitet – zu Pferde auf die Burg.
»Es sind Waliser«, erzählte uns Robert, als er ein paar Stunden später wieder vor seinem Zelt erschien.
»Waliser?«, wiederholte ich ungläubig. Es war leicht zu erkennen, dass die anderen Männer, die sich ebenfalls gerade an dem halb erloschenen Lagerfeuer aufwärmten, genauso erstaunt waren wie ich. »Und was wollen sie von Fitz Osbern?«
»Die wollen sich mit uns verbünden – behaupten sie jedenfalls. Die beiden Anführer heißen Maredudd und Ithel; sie sind die Söhne des großen Königs Gruffydd, der früher über ganz Wales geherrscht hat, bis ein gewisser Harold Godwineson ihn vor ungefähr sieben Jahren
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