Die Rollbahn
zurück.
Ein Vakuum, wie es sich vor jedem Hurrikan herschiebt, lag über den Stellungen beiderseits der Rollbahn nach Smolensk. Es war zermürbend, aufreibend in seiner Stille, nervenfressend in der stündlichen Erwartung: Jetzt kommt der Sturm.
Leutnant Vogel saß in Dubrassna am Feldtelefon und sprach mit Oberleutnant Faber im Kompaniegefechtsstand.
»Lieber Faber, ich soll Ihnen vom Kommandeur sagen: Bereiten Sie einen Stoßtrupp vor. Wir brauchen Gefangene wie ein Säugling die Muttermilch! Wir tappen im dunkeln! Sie müssen unbedingt einen Gefangenen einbringen! Und wenn es zehn von unseren Leuten kostet.«
»Sie haben Nerven, Vogel!«
Der Adjutant sah konsterniert vor sich auf den Tisch. Eine Karte mit dem Gebiet um Dubrassna lag dort, in die man die deutschen Stellungen und Versorgungsdepots mit Rotstift eingezeichnet hatte.
»Es geht hier nicht um Nerven, sondern um Gefangene«, sagte er steif. »Die näheren Ausführungsbefehle gibt Ihnen der Kommandeur noch durch.«
In diesem Augenblick krachte es wieder. Auf der Dorfstraße riß ein Loch auf, Splitter surrten durch die Luft und durchschlugen ein Fenster der Schreibstube.
»Raus!« brüllte Kunze. Er schoß aus der Tür und raste zu seinem Deckungsgraben. Auch Vogel ließ das Telefon fallen und jagte in weiten Sprüngen aus der Hütte. Mit weißem, verzerrtem Gesicht fiel er neben Kunze in den schmalen Graben. Vor ihm, auf halbem Wege zur Küchenscheune, lag mit aufgerissenem Leib der Gefreite Schmitz aus Köln. Die Därme quollen blutig über die Uniform hinaus und vermengten sich mit dem Staub.
Leutnant Vogel sah weg. In seiner Kehle zuckte und würgte es … der Magen begann zu klopfen. Er preßte die Hände auf den Mund, um nicht zu kotzen.
Über ihn hinweg orgelten die Granaten und rissen den harten, von der Sonne verbrannten Boden auf.
Als Schmitz zu schreien begann, preßte Vogel die Hände gegen die Ohren und schloß die Augen. Auch Kunze duckte sich und blickte weg.
Es war keiner da, der Schmitz half. Er starb im Staub der Straße, allein gelassen und nach seiner Frau schreiend, die Hände auf die hervorquellenden Därme gepreßt.
Ein Heldentod –
In Orscha stiegen Leskau und Strakuweit aus dem Urlauberzug.
Die Fahrt durch Rußland war langweilig gewesen. Zehn Tage rollte der Zug, zwei mit Sand gefüllte Waggons vor sich herschiebend, um Bomben zwischen den Schienen abzufangen, durch Wälder und Ebenen, vorbei an Sümpfen und verlassenen Dörfern, an riesigen Lagern und einer vollgestopften Etappe, getreu dem alten Wahlspruch: Auf einen kämpfenden Mann an der Front kommen zehn in der Etappe. Als sie die Beresina überquerten und bei Loschnitza hielten, begann für Strakuweit bereits der Krieg in konzentrierter Form. Solange sie gemütlich durch die öde Landschaft rollten und nur ab und zu ein paar Bulgaren sahen, die als unsichere Verbündete die eingleisige Bahnstrecke nach Osten bewachten und mißmutig in ihren von Palisaden umgebenen Bunkerstationen hockten, sich mit den Partisanen herumschlagend und vergeblich nach einem Sinn ihres Hierseins grübelnd, solange war für Strakuweit die Fahrt an die Front eine Vergnügungstour.
Aber hinter Borrisow begann der Krieg!
Hier lagen die großen Munitionslager! Hier begannen die Feldlazarette. Hier staute sich der Nachschub an Sprit, an Panzern, an Geschützen, an Waffen. Hier waren aber auch die ersten riesigen Verpflegungslager, in denen Marketenderwaren gestapelt wurden. Fleisch, Büchsen, Schnaps, Schokolade, Schoka-Cola, Fett, Wurst, Kaffee, Tee, Kekse, Hülsenfrüchte, Dörrgemüse, getrocknete Kartoffelscheiben und Eier … Herrlichkeiten für eine ganze Armee!
Für Strakuweit hieß dies schlicht: Theo, hier beginnt dein Einsatz! Ein deutscher Soldat, der nicht organisiert, ist nicht voll ausgebildet! Ein deutscher Soldat, der nachts an einem Verpflegungslager vorbeigeht, ist ein Idiot!
Der Zug hielt nachts um 2 Uhr in Loschnitza. Um 2 Uhr 15 Minuten verschwand Strakuweit im Dunkel der Nacht. Um 3 Uhr war er wieder im Wagen, einen Sack nach sich schleifend mit Konserven, Schokolade und Apfelsinen.
Leskau sah Strakuweit entsetzt an. Er betastete den Sack und wurde blaß.
»Bist du verrückt?« fragte er leise.
»Schmalzfleisch und Gulasch! Und Schokolade! Der Krieg kann noch lange dauern, Fritz.« Strakuweit stellte den Sack in die Ecke des Vorraumes des Wagens und setzte sich darauf.
»Wo hast du die Sachen her?« Leskau knöpfte die Uniform auf. Ihm wurde heiß bei dem
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