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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abgeliefert. Dort trafen sie auf Leutnant Vogel, der beim Anblick des röchelnden und Blut spuckenden Strakuweit sich selbst übertraf und sofort eine Verbindung zu Stabsarzt Dr. Wensky herstellte, der acht Kilometer hinter dem Bataillonsgefechtsstand als neuer Chef eines vorgeschobenen Hauptverbandplatzes operierte und auf den versprochenen Ersatz wartete, auf Sanitätsunteroffizier Walter Heinrich.
    »Strakuweit ist schwer verwundet«, schrie er in die Telefonmuschel. Er schwitzte dabei, ob vor Erregung, Sommerwärme oder Erschütterung wußte er selbst nicht zu sagen. »Ja, ein Überfall in den Sümpfen. Messerstich in den Rücken. Lunge angekratzt, er spuckt Blut. Und ein Stich in den Oberschenkel. Schicken Sie sofort einen Wagen.«
    Dr. Wensky stand blutverschmiert neben einem kleinen Tisch und drückte den Telefonhörer eng an sein Ohr. Das Röcheln und Wimmern um ihn übertönte die Stimme Vogels. Auf einem einfachen, rohen Küchentisch, den sie aus einer Bauernkate holten und den der Sanitätsobergefreite Peter Schiff, den sie beim Bataillon nur den ›schiffenden Sanitäter‹ nannten, mit zwei Stück Kernseife abrieb, lag ein Verwundeter mit einem zerfetzten Bauch. Er war vor einer Stunde auf der Straße nach Rudnja auf eine Partisanen-Mine getreten. Es war ein Wunder, daß er noch lebte und nicht mehr abbekommen hatte als einen zerrissenen Unterbauch und grauenhaft verstümmelte Genitalien. Peter Schiff schnitt gerade die durchgebluteten Papierbinden durch, als Vogel anrief.
    »Einen Wagen?« sagte Dr. Wensky. »Vogel … ich habe hier 69 schwere Fälle! Ich kann Ihnen keinen Wagen schicken.«
    »Strakuweit …«
    »Auch für einen Strakuweit nicht! Es tut mir leid, Vogel. Ich hänge an Strakuweit genau wie Sie …« Er wußte, daß es blutige Ironie war. In dieser Situation ein makabrer Humor, der Vogel ansprang wie eine Ohrfeige.
    »Sie müssen doch etwas für ihn tun können!« schrie Vogel. Er saß mit durchgedrücktem Kreuz auf einem Holzklotz und umklammerte den Hörer wie ein Ertrinkender den rettenden Bambusstab des Bademeisters. »Er kann doch nicht hier verrecken!«
    »Mensch, Vogel, Sie werden ja ein Mensch! Sie haben Regungen. Kann den Strakuweit denn keiner bringen? Ich habe keinen Wagen hier!«
    »Ich auch nicht!«
    »Zu Pferde!«
    »Die brauchen wir für die Feldküche.«
    »Mein Gott, Sie haben doch einen Kübelwagen oder sonst ein Gefährt! Erfinden Sie etwas, Vogel! Hören Sie …« Dr. Wensky hielt den Hörer ab, dem stöhnenden Mann mit dem aufgerissenen Bauch entgegen. Dann sprach er weiter: »Haben Sie gehört, Vogel? Da liegt ein armer Kerl, der alles das verloren hat, was die Welt der Madame de Pompadour ausmachte. Ich muß operieren. Ende.«
    Leutnant Vogel wischte sich den Schweiß von der Stirn. Strakuweit, dachte er. Seit ich ihn kenne, habe ich ihn verflucht. Er hat mir das Leben schwergemacht, er ist ein Urviech, ein Idiot … aber er ist so etwas wie ein Mythos des 3. Bataillons. Wenn ein Mythos stirbt, stirbt eine Nation … das hatte er bei Rosenberg gelernt. Wenn Strakuweit stirbt, ist das Bataillon wie eine Halbwaise.
    »Unteroffizier Leskau!« brüllte Leutnant Vogel. Er rannte aus dem Nachrichtenraum und winkte mit beiden Armen. »Leskau, Kunze … Sie müssen sofort zu Dr. Wensky! Er erwartet euch!«
    Hauptfeldwebel Kunze sah sich um. »Womit?«
    »Erfindet etwas! Ich kann mir keinen Wagen aus dem Hintern schneiden!«
    Zehn Minuten später waren Leskau und Kunze auf dem Wege zum vorgeschobenen Hauptverbandplatz Dr. Wenskys.
    Sie schoben Strakuweit vor sich her, den stöhnenden, wachsbleichen, Blut spuckenden und in den wenigen klaren Momenten schrecklich fluchenden Strakuweit.
    In einer Schubkarre, die sie in einer Scheune fanden. Eine hölzerne Schubkarre mit zwei Holmen und einem alten, eiernden Holzrad.
    Acht Kilometer lang schoben sie die Schubkarre mit Strakuweit vor sich her … durch Waldwege und Sümpfe, über die Rollbahn, wo die Nachschubwagen an ihnen vorbeirasten, junger Ersatz, schon jetzt vor Angst halbtot, ihnen marschierend entgegenkam und nach einem Blick auf den mit Blutschaum bedeckten Strakuweit leichenblaß den Blick nach vorn wandte … Acht Kilometer mit einer Schubkarre, schwitzend, vor Tieffliegern seitwärts ausbrechend und Strakuweit auf den Schultern mitnehmend. Acht Kilometer durch die Hölle, sich immer abwechselnd … mal schob Leskau die Karre, und Kunze lief nebenher, tupfte Strakuweit das Blut vom Mund und hob die herunterhängenden

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