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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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dieser Position der Stärke mit ihm in Koalitionsverhandlungen zu treten. Aber wie die Dinge jetzt stehen, werden Humphrey und Wallace im ersten Wahlgang zusammen nicht mehr als 1000 Delegierte aufbieten können – und bei McGovern kann man heute ziemlich risikolos darauf setzen, dass er mit fast 1300 Delegierten in Miami einzieht.
    Humphrey hat nur dann eine letzte Chance, Einfluss zu nehmen, wenn er in Kalifornien gewinnt, und obwohl die Umfragen ihn immer noch an der Spitze sehen, möchte ich bezweifeln, dass er selbst so optimistisch ist. Schon vor seinen schwachen Auftritten in Michigan und Maryland ließ einer der wichtigsten Strategen – Kenny O’Donnell – die Presse hinter vorgehaltener Hand wissen, dass Hubert Kalifornien letztlich gar nicht brauche, um die Nominierung zu gewinnen.
    Eine interessante Annahme – besonders nachdem Humphrey selbst ein paar Tage zuvor die Bedeutung eines Sieges bei den Vorwahlen in New York heruntergespielt hatte. Er sah wohl ein, dass es erst sinnvoll war, über New York zu spekulieren, wenn er in Kalifornien hatte gewinnen können.
    Und wenn zwischen heute und dem 6. Juni nicht etwas Einschneidendes geschieht, wird es nicht dazu kommen. Hubert könnte sich für Kalifornien nur dann Hoffnung machen, wenn er einen brutalen und kompromisslosen Angriff startete – eine rücksichtslose Verleumdungskampagne zu den Themen Marihuana, Amnestie, Abtreibung und sogar dem »busing«. Um das jedoch tun zu können, müsste er McGoverns Haltung zu diesen Fragen bewusst verfälscht darstellen … was ihm wohl äußerst schwerfallen dürfte, denn er ist seit vielen Jahren mit McGovern eng befreundet.
    Ich habe Hubert viel Übles nachgesagt, und das ausnahmslos zu Recht, aber es würde mich echt überraschen, wenn er es fertigbrächte, einen alten Freund mit unhaltbaren Beschuldigungen auf so bösartige Weise zu attackieren. Seine Wahlkampfmanager in Kalifornien haben bereits verlauten lassen, dass sie dergleichen versuchen wollen, ob er zustimmt oder nicht – aber Hubert weiß, dass er so etwas niemals durchziehen könnte. In Ohio kam er damit durch, seine Drecksarbeit von Jackson erledigen zu lassen, und in Nebraska ließ er es zu, dass seine Anhänger McGovern in The True Voice , einer katholischen Zeitung, in den Schmutz zogen … aber Hubert selbst stieg nie in den Straßengraben, sondern blieb stets, wie er so gern sagte, auf der »Straße des Anstands«.
    Aber die Möglichkeit bietet sich ihm in Kalifornien nicht. Auf einen Sieg dort kann er nur hoffen, wenn er sich ganz tief in die »Gosse« begibt.
    Vielleicht macht er das ja, aber ich habe meine Zweifel. Die Erfolgschancen sind zu gering. McGovern würde wahrscheinlich ohnehin gewinnen – und Humphrey in den Geschichtsbüchern kommender Generationen in Schimpf und Schande vermodern lassen.

Traditionelle Politik auf dem Vormarsch
    6. Juli 1972
    »Im eignen Vaterland ein fremder Mann,
    und stark und groß ist doch nichts mit mir los,
    gewinnend stets, verlier ich immerdar,
    am Morgen wünsch ich andren gutenacht,
    im Liegen nehm ich mich vorm Fall in acht. «
    – François Villon, 1458, »Ballade du
concours de Blois«, Ballade vom Dichterwettstreit
in Blois (Übersetzung Carl Fischer)
    Unter Autoren, Journalisten und sonstigen Schreiberlingen gibt es wohl schon seit ewigen Zeiten einen »Leitsatz«, der ungefähr so lautet: »Wenn du anfängst, von dir selbst zu stehlen, steckst du böse in der Klemme.« Das könnte wahrhaftig stimmen.
    Ich habe es allmählich satt, ständig über Politik zu schreiben. Mein Hirn ist zur Dampfkammer geworden; mein Körper schmilzt zu Wachs und Schwabbelmasse; Impotenz droht, meine Fingernägel wachsen mit rasender Geschwindigkeit – werden zu Krallen. Mein ganz normaler Nagelclipper schafft die Länge nicht mehr, und deswegen habe ich jetzt immer einen riesigen Zehennägelclipper dabei und schleich mich jeden Abend in der Dämmerung davon, egal wo ich bin – ob Großstadt, Weiler oder spießiges Hotelzimmer auf der Wahlkampftour –, um alle zehn Fingernägel wieder mal einen Zentimeter kürzer zu machen.
    Den Leuten fällt langsam was auf, glaube ich, aber ich scheiß drauf. Allmählich fallen auch mir einige ihrer Probleme auf. Ihre Drogenabhängigkeit ist evident: Manche werfen sich hemmungslos Downer ein – Reds, Quaaludes, Valium –, und andere laben sich mit fürchterlicher Regelmäßigkeit an Speed, Alk, Maalox und sonstigen komischen Medikamenten. Der Präsidentschaftswahlkampf

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