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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Schrecken in Miami
    17. August 1972
    Damals im Februar fühlte man sich noch ausgebufft und progressiv, wenn man die Auffassung vertrat, es sei für eine Präsidentschaftskampagne unabdingbar, einen guten »Medienkandidaten« vorweisen zu können. Er müsse nur »Starqualitäten« besitzen, dann würde sich alles Weitere von allein ergeben.
    Die Vorwahlen in Florida wurden zum Leichenzug der Möchtegern-»Medienkandidaten«. Sowohl Lindsay als auch Muskie gingen in Florida baden – wenn auch nicht notwendigerweise deswegen, weil sie sich dem Fernsehen anbiederten; nein, der wahre Grund liegt meiner Ansicht darin, dass keiner von beiden wusste, wie er das Fernsehen nutzen konnte. Oder vielleicht wussten sie es doch, aber brachten es einfach nicht rüber. Es ist nicht leicht, auf der Mattscheibe besonders überzeugend zu wirken, wenn alles, was man von sich gibt, das Fernsehpublikum an einen Alpo-Hundefutter-Spot von Dick Cavett erinnert. George McGovern ist von der Presse immer wieder als »der totale Anti-Medien-Kandidat« bespöttelt worden. Er sieht nicht richtig aus, er redet nicht richtig und er verhält sich auch noch falsch – nach konventionellen TV-Maßstäben. Aber McGovern hat seine eigene Auffassung, was den Einsatz des Fernsehens betrifft. Aus vielerlei Gründen, zu denen gewiss auch Mangel an Geld und Selbstvertrauen zählten, reduzierte er bei den frühen Vorwahlen seine TV-Auftritte auf ein Minimum. Als er jedoch zum Showdown mit Hubert Humphrey nach Kalifornien kam, hatte seine TV-Kampagne das Format einer ausgefeilten Kunstform angenommen und zeigte entsprechende Wirkung. Seine dreißigminütige Bio – produziert von Charley Guggenheim – war so gut, dass selbst die zynischsten Veteranen unter den Journalisten sagten, es sei der beste politische Film, den man je fürs Fernsehen gedreht habe. Und die 60-Sekunden-Spots von Guggenheim waren sogar noch besser als dieser Film. Im Gegensatz zu den frühen Spitzenkandidaten hatte sich McGovern Zeit gelassen und gelernt, wie man das Medium nutzen konnte – statt sich vom Medium benutzen zu lassen.
    Im Fernsehen zählt nichts mehr als Aufrichtigkeit. Ein Präsidentschaftskandidat sollte zumindest den Eindruck erwecken, dass er auch an das glaubt, was er sagt – mag es noch so abenteuerlich wirr sein. McGovern hatte sich das in Florida von Wallace abgeguckt, und es erwies sich als höchst wertvolle Lehre. Einer der in dieser Hinsicht ausschlaggebenden Augenblicke der Vorwahlenkampagne 1972 war der Wahlabend am 14. März in Florida, als McGovern – der sogar noch hinter Lindsay und Muskie abgeschlagen auf dem sechsten Platz landete – sich weigerte, Big Eds sauertöpfischem Beispiel zu folgen und die Schuld an seinem kümmerlichen Abschneiden dem bösen Rassistenmonster George Wallace zuzuschreiben, der gerade sämtliche Countys in Bundesstaat gewonnen hatte. Kurz nachdem Muskie auf allen drei Sendernetzen die Wahlergebnisse in Florida als tragische Beweise dafür angeprangert hatte, dass mindestens die Hälfte aller Wähler ignorante Trottel und Nazis waren, trat McGovern auf und sagte, er könne zwar mit manchen Aussprüchen und Ansichten von Wallace nicht übereinstimmen, habe aber doch Verständnis für die Menschen, die »The Governor« gewählt hatten, weil sie »voller Wut waren und so manches, was in diesem Land geschah, satthatten«.
    »Mir geht es nicht anders«, fügte er hinzu. »Aber im Gegensatz zu Governor Wallace habe ich konstruktive Lösungen für diese Probleme zu bieten.«
    Niemand applaudierte, als er das sagte. Den ungefähr zweihundert Wahlhelfern von McGovern, die sich an diesem Abend im Ballsaal des alten Waverly Hotel am Biscayne Boulevard versammelt hatten, war nicht danach zumute, ein Lob für George Wallace zu bejubeln. Ihr Kandidat war gerade von einem Mann vernichtend geschlagen worden, den sie für einen gefährlichen und bigotten Fanatiker hielten – und jetzt sagte McGovern zum Schluss seiner Verliererrede, dass die Kluft zwischen ihm und Wallace gar nicht so groß wäre.
    Das hörte die Menge im Ballsaal zu diesem Zeitpunkt gar nicht gerne. Nicht, nachdem sie miterlebt hatte, wie Muskie George Wallace zum Krebsgeschwür an der Seele Amerikas erklärt hatte … aber McGovern sprach gar nicht zu den Leuten im Ballsaal, sondern umwarb auf höchst raffinierte Weise die potenziellen Wallace-Wähler in den anderen Bundesstaaten, in denen Vorwahlen folgen sollten. Bis zum Wahltag in Wisconsin waren es nur noch drei Wochen,

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