Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
dastehen. Wir haben bewiesen, dass ein Wahlkampf mit ehrlichen Mitteln finanziert werden kann. Wir haben unserer Forderung Nachdruck verliehen, dass eine Kampagne in ihrer Durchführung transparent und in ihrer Motivation von Anstand und Respekt geprägt sein sollte. Wir haben die Demokratische Partei zu einer Einrichtung gemacht, die ganz normalen Bürgern und Politikern gleichermaßen offen steht. Und vielleicht liegt in unserer Niederlage gleichzeitig der bedeutendste Sieg der jüngeren Geschichte – nämlich, dass die amerikanischen Bürger den Wert unserer Prinzipien nun wesentlich mehr zu schätzen wissen und erkennen, was wir tun müssen, um sie zu erhalten. Diese Einsicht in diesem Maße zu vermitteln, wäre auch einem neuen Präsidenten mit purer Überzeugungskraft nicht gelungen. Die Nation betrachtet sich nun durch das Prisma von Watergate und des Erdrutschsiegs von Richard Nixon, und es ist zu hoffen, dass wir endlich einen ungetrübten Blick auf die Lage gewinnen.
Aufgrund all dieser Dinge haben wir nun die Möglichkeit, dass wir bis zum Jahre 1976, wenn unsere Nation 200 Jahre alt wird, die Wiedergeburt eines echten Patriotismus erleben, dass wir unsere Ideale nicht nur vom Hörensagen kennen, sondern dass wir sie leben, dass Demokratie für uns wieder zu einer Überzeugung wird und nicht eine leere Worthülse, mit der wir uns schmücken. Und wenn die McGovern-Kampagne selbst in der Niederlage diese Hoffnung beflügelt hat, dann war, wie ich in meiner Rede am Wahlabend letzten November bereits gesagt habe, »jede Minute, jede Stunde und jede Mühe, sei sie auch noch schwer gewesen … das Opfer wert«.
– George McGovern in der Washington Post vom 12. August 1973
Gott im Himmel … es ist Sonntagmorgen in Woody Creek und in dem kleinen Fernseher neben meiner Schreibmaschine ist McGovern zu sehen, wie er genauso schaut und redet wie in jenen rasanten Wochen zwischen den Vorwahlen in Wisconsin und Ohio, als sein Stern derartig schnell am Aufgehen war, dass er Mühe hatte, sich daran festzuklammern. Es stellt sich das Gefühl eines Déjà-vu ein, das fast schon beängstigend ist: Hier haben wir einen McGovern, der auf Fragen zweier Reporter, die schon während seines 72er-Wahlkampfs nahezu omnipräsent erschienen – Connie Chung von CBS und Marty Nolan vom Boston Globe –, erneut ganz entschieden Position gegen das System bezieht … und McGovern, wie durch ein politisches Wunder wiederauferstanden von den Toten, ist es denn auch, der den ersten Gongschlag führt, um damit den Untergang des Mannes einzuläuten, der ihm neun Monate zuvor eine vernichtende Niederlage beigebracht hat: »Wenn das [juristische] Prozedere abgeschlossen ist und der Oberste Gerichtshof entscheidet, dass der Präsident die Bänder herausgeben muss – und er dies verweigert –, dann glaube ich, dass der Kongress kaum eine andere Wahl hat, als ein Amtsenthebungsverfahren ernsthaft in Erwägung zu ziehen.«
Tata! So langsam geht es zur Sache – sehr langsam und mit großer Vorsicht, aber die generelle Stoßrichtung ist kaum zu übersehen. Irgendwann vor Ende des Jahres wird Richard Nixon in den sauren Apfel beißen müssen, von dem er immer wieder gesprochen hat. Die Sieben ist eine Glückszahl für Spieler und nicht für Strippenzieher, und Nixons siebte Krise stellt allmählich die sechs vorangegangenen weit in den Schatten. Selbst die vorsichtigsten Wetten in Washington lauten derzeit darauf, dass Nixon bis spätestens Herbst 1974 entweder zurückgetreten oder seines Amtes enthoben sein wird – wenn nicht als direkte Folge des »Watergate-Skandals«, dann eben, weil er nicht in der Lage sein wird zu erklären, wer für sein Strandhaus in San Clemente gezahlt hat oder warum Vizepräsident Agnew diverser Verbrechen von Erpressung über Meineid und Einbruch bis zu Behinderung der Justiz angeklagt ist.
Eine weitere aussichtsreiche Wette, auf die in Washington derzeit Quoten zwischen drei und zwei zu eins geboten werden, lautet darauf, dass Nixon physisch und mental unter dem Druck, der auf ihm lastet, zusammenbricht und ein ernsthaftes psychosomatisches Krankheitsbild entwickelt – vielleicht ja eine erneute schwere Lungenentzündung.
Dieses Szenario ist gar nicht so weit hergeholt, wie es scheint – und schon gar nicht für jemanden wie mich, der, wie allgemein bekannt, einen gewissen Hang zu Horrorszenarien in der Politik hat. Richard Nixon – ein Berufspolitiker durch und durch, der seine Karriere unter anderem der
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