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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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meine Lungen hergaben, tönte und brüllte und kreischte von all denen, die in Bälde in den Flammenpfuhl geworfen würden … und zwar wegen allerhand Verbrechen, Vergehen und genereller Bösartigkeit. Fast jeder, der sich in jener Zeit im Hotel befand, musste sich meinem pauschalen Schuldspruch unterwerfen.
    Die meisten von ihnen schliefen zwar schon, als ich zu sprechen begann, aber als Doctor of Divinity und zugelassener Prediger der Church of The New Truth wusste ich doch tief in meinem Herzen, dass ich nicht mehr war als das Werkzeug – das Vehikel sozusagen – einer höheren und mächtigeren Stimme.
    Acht lange, erniedrigende Tage hatte ich mich in Houston herumgedrückt mit all den anderen Profis, und wir hatten unseren Job gemacht – der im Grunde nur darin bestand, so viel freien Schnaps in uns reinzuschütten, wie wir nur konnten – mit freundlicher Genehmigung der National Football League –, und uns eine endlose Litanei lahmster und beklopptester Sprüche anzuhören, wie sie weder von Mensch noch Bestie je schlimmer formuliert wurden … und dann schließlich am Sonntagmorgen, ungefähr sechs Stunden vor dem Eröffnungskick, hatte mich ein höllischer innerer Konflikt an den Rand der Hysterie getrieben.
    Ich saß allein in meinem Zimmer und betrachtete die Wind- & Wetter-Diagramme auf dem Bildschirm, als ich urplötzlich am Ansatz meines Rückgrats eine extrem mächtige Kriechbewegung spürte. Mutter des schwitzenden Heilands! dachte ich. Was ist das – ein Blutegel? Gibt es tatsächlich in diesem gottverdammten Hotel auch Blutegel? Und nicht nur all das andere? Ich sprang vom Bett und krallte beide Hände in meinen verlängerten Rücken. Das Ding fühlte sich gewaltig an, vielleicht acht oder neun Pfund schwer, und es bewegte sich langsam mein Rückgrat hinauf in Richtung Nacken.
    Ich hatte mich schon die ganze Woche gewundert, warum ich so mies gelaunt war und mich irgendwie danebenfühlte … aber es war mir nie in den Sinn gekommen, dass ein gigantischer Blutegel mir die ganze Zeit am Rückgratansatz das Blut aussaugte. Und jetzt bewegte sich das gottverdammte Ding langsam hinauf zum Hirnansatz, hatte es auf mein Mark abgesehen … und als professioneller Sportjournalist wusste ich nur zu genau, dass es absolut um mich geschehen wäre, wenn das Schweinevieh tatsächlich mein Mark zu fassen bekam.
    Und genau in diesem Moment tauchte auch der ernsthafte Konflikt auf, denn mir wurde bewusst – angesichts dessen, was sich mein Rückgrat hinaufbewegte, und der drastischen Wirkungen, die davon meines Wissens dann sehr bald auf meine journalistische Sorgfaltspflicht ausgehen würden –, dass ich auf der Stelle zwei Dinge tun musste: Erstens musste ich die Strafpredigt loswerden, die sich seit einer Woche in meinem Hirn zusammenbraute, und dann musste ich ohne Umschweife in mein Zimmer zurück und die Einleitung für die Super-Bowl-Story schreiben.
    Oder vielleicht erst die Einleitung schreiben und dann die Predigt halten. Jedenfalls hatte ich keine Zeit zu verlieren. Das Vieh hatte sich inzwischen ein Drittel meines Rückgrats hochgearbeitet, und es hatte eine ziemliche Geschwindigkeit drauf. Ich streifte mir ein Paar L. L. Bean Shorts über die Beine und rannte hinaus auf den umlaufenden Balkon zur nächsten Eiswürfelmaschine.
    Im Zimmer füllte ich mir dann ein Glas mit Eis und Wild Turkey und blätterte in Eines Dämonen Albtraum , weil ich eine Art spirituelles Sprungbrett brauchte, um meine Predigt in Gang zu kriegen. Mir war inzwischen klar geworden – ungefähr in der Mitte meines Eislaufs –, dass ich hinreichend Zeit hatte, sowohl die schlafende Menschenmenge anzusprechen wie auch eine Einleitung abzulassen, bevor das gottverdammte Blutsaugerbiest mein Gehirn erreicht hatte – oder, schlimmer noch, falls eine knallige Dosis Wild Turkey das Ding hinreichend verlangsamte, konnte es mich meiner letzten Entschuldigung berauben, das Spiel absolut zu verpassen, wie letztes Jahr …
    Was? War das vielleicht ein lapsus linguae ? Oder einer meiner Tipp-Finger? Oder habe ich vielleicht gerade einen netten Profiratschlag von meinem alten Kumpel Mr. Natural bekommen?
    Tatsächlich. Wenn die Sache hart wird, kommen die Harten zur Sache. John Mitchell hat das gesagt – kurz bevor er seinen Job quittierte und Washington in einer chauffeurgesteuerten Limousine mit 150 Sachen verließ.
    Ich habe mich John Mitchell nie besonders verbunden gefühlt, bis auf jenen verkorksten Morgen in Houston – da war

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