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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Telefon führte. »Ich hasse Blutegel«, murmelte er.
    »Das ist das geringste unserer Probleme«, sagte ich. »Der Room Service will bis Mittag kein Bier mehr raufschicken, und alle Bars sind geschlossen … ich habe diesen Wild Turkey, aber ich glaube, der ist ein bisschen zu stark für die Situation, in der wir uns befinden.«
    »Da haben Sie recht«, sagte er. »Ich muss mich an die Arbeit machen. Das verdammte Spiel fängt gleich an. Ich brauche eine Dusche.«
    »Ich auch«, sagte ich. »Aber vorher muss ich was arbeiten, und daher müssen Sie den Anruf erledigen.«
    »Anruf?« Er ließ sich auf einen Stuhl vorm Fenster sacken und starrte hinaus in den dichten grauen Nebel, der seit acht Tagen über der Stadt hing – nur dass er jetzt, da der Super-Tag anbrach, dichter und feuchter war als je zuvor.
    Ich reichte ihm den Hörer. »Rufen Sie den Manager an«, sagte ich. »Sagen Sie ihm, Sie seien Howard Cosell und Sie seien in 2003 zu Besuch bei einem Priester; wir halten ein privates Gebetsfrühstück ab, und wir brauchen zwei Flaschen von seinem besten Rotwein sowie eine Packung Salzcracker.«
    Er nickte unglücklich. »Verdammt, ich wollte hier doch nur duschen. Was soll der Wein?«
    »Es ist wichtig«, sagte ich. »Sie rufen da an, und ich geh raus und fang schon mal an.«
    Er zuckte mit den Achseln und wählte die Null, während ich auf den Balkon hastete und mich räusperte, um gleich ganz schwer mit Jakobus 2,19 loszulegen.
    »Habt acht«, schrie ich, »die Teufel glauben’s auch und zittern!«
    Ich wartete einen Augenblick, aber es kam keine Reaktion aus dem Foyer 20 Stockwerke unter mir – also versuchte ich es mit Epheser 6,12, was auch passender erschien:
    »Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen«, kreischte ich, »sondern mit Mächtigen und Fürsten, mit den Herrschern der Finsternis auf dieser Welt – und, jawohl: gegen böse Machenschaften! Höheren Orts!«
    Noch immer gab es keine Reaktion – einzig das dröhnende Echo meiner eigenen Stimme … aber das Vieh an meinem Rückgrat bewegte sich jetzt mit neuer Kraft, und ich hatte das Gefühl, es bliebe mir nicht mehr viel Zeit. Jegliche Bewegung im Foyer hatte aufgehört. Sie standen alle still da unten – vielleicht zwanzig oder dreißig Leute … aber hörten sie auch zu ? Konnten sie mich hören ?
    Sicher konnte ich nicht sein. Die Akustik dieser immensen Innenhallen ist unberechenbar. Ich wusste zum Beispiel, dass jemand, der in einem Zimmer mit offener Tür im 11. Stockwerk saß, hören konnte – und zwar mit nervtötender Klarheit –, wenn ein Cocktailglas auf dem Boden der Lobby zersplitterte. Es stimmte auch, dass fast jedes Wort von Gregg Allmans »Multi-Colored Lady«, in höchster Lautstärke auf einem Sony TC-126 mit zwei Lautsprechern in einem Zimmer mit offener Tür im 20. Stockwerk abgespielt, im Pressezimmer der NFL im Mezzanin des Hotels verstanden werden konnte … aber es war schwer, das Timbre und die Reichweite meiner eigenen Stimme in dieser Höhle einzuschätzen; für mich klang meine Stimme wie das dumpfe Röhren eines Elchs zur Paarungszeit … aber es ließ sich nicht mit Gewissheit sagen, ob ich auch wirklich mit meiner Stimme durchkam.
    »Disziplin!«, bellte ich. »Denkt an Vince Lombardi!« Ich hielt inne und ließ meine Worte wirken – wartete auf Applaus, aber es kam keiner. »Denkt an George Metesky!«, schrie ich. »Der hatte Disziplin!«
    Niemand unten im Foyer schien das zu schnallen, aber ich spürte, dass man sich auf dem Balkon unter mir zu regen begann. Es war inzwischen fast Zeit für das kostenlose Frühstück im Imperial Ballroom unten, und einige der Frühaufsteher unter den Sportjournalisten schienen langsam auf die Beine zu kommen. Irgendwo hinter mir klingelte ein Telefon, aber ich kümmerte mich nicht darum. Es war Zeit, sagte mir mein Gefühl, die Sache auf den Punkt zu bringen … meine Stimme versagte mir allmählich, aber trotz des gelegentlichen Aussetzens und der Augenblicke, in denen sie sich überschlug, packte ich das Balkongeländer und raffte mich auf, noch einmal gehörig loszulegen:
    »Offenbarung zwanzig, fünfzehn!«, schrie ich. »So singet denn halleluja! Ja! Singet halleluja!«
    Jetzt reagierten die Leute. Eindeutig. Ich konnte ihre Stimmen hören, sie klangen aufgeregt – aber die Akustik der Halle machte es unmöglich, genau herauszuhören, was die Rufe bedeuteten, die durchs Foyer schallten. Sangen sie »Halleluja«?
    »Noch vier Jahre länger!«, schrie ich.

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