Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Stellungnahme weithin als Signal an Jaworski gewertet, den ehemaligen Präsidenten keineswegs bevorzugt zu behandeln … Und sie entsprach seiner Antwort auf eine Frage, die ihm ein paar Monate zuvor bei seinen Anhörungen im Senat gestellt worden war: »Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit das akzeptieren würde«, hatte er geantwortet, als man ihn fragte, ob ein ernannter Vizepräsident die Machtbefugnis habe, den Präsidenten, der ihn ernannt hat, zu begnadigen, sollte dieser Präsident unter der Anklage krimineller Handlungen aus dem Amt entfernt werden.
Ich erinnerte mich daran, dass Ford diese Dinge gesagt hatte, aber ich war mir nicht so sicher, ob ich Dick Tuck richtig verstanden hatte – und ob ich ihn überhaupt gehört hatte. Ich hielt mir die rechte Hand vor die Augen und versuchte mich zu erinnern, ob ich am Abend zuvor etwas gegessen hatte, das vielleicht Halluzinationen hätte hervorrufen können. In dem Fall müsste meine Hand transparent erscheinen, und ich könnte die Knochen und Blutgefäße klar erkennen.
Aber meine Hand war nicht durchsichtig. Ich stöhnte nochmals, und das veranlasste Sandy, aus der Küche hereinzukommen, um nachzusehen, was mit mir los war. »Hat Tuck gerade angerufen?«, fragte ich.
Sie nickte: »Er hatte fast einen hysterischen Anfall. Ford hat soeben Nixon uneingeschränkt begnadigt.«
Ich setzte mich abrupt hin und tastete auf dem Bett nach irgendwas, das ich zertrümmern konnte. »Nein!«, schrie ich. »Das ist unmöglich!«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe es auch im Radio gehört.«
Ich starrte wieder auf meine Hände, fühlte die Wut hinter meinen Augenhöhlen aufsteigen, hörte Laute aus meiner Kehle dringen. »Dieser blöde, verlogene Hundesohn! Herrgottnochmal! Wer wählt eigentlich diese hinterfotzigen Drecksäcke? Jetzt kann man schon nicht mal mehr den Idioten trauen! Sieh dir Ford an! Der ist doch verdammtnochmal viel zu bescheuert, um so einen Deal zu arrangieren! Scheiße, der ist doch fast zu bescheuert, um zu lügen!«
Sandy zuckte mit den Achseln. »Er hat Nixon auch alle Bänder gegeben.«
»Heilige Scheiße!« Ich sprang aus dem Bett und eilte zum Telefon. »Was hat Goodwin für ’ne Nummer in Washington? Dieser Holzkopf von Rotarier hat einen Deal gemacht? Vielleicht weiß Dick was.«
Aber erst vierundzwanzig Stunden später gelang es mir endlich, Goodwin zu erwischen, und inzwischen hatte ich eine Riesenliste erstellt, voller Namen, Daten und persönlicher Querverbindungen – alle durch ein Labyrinth von Pfeilen und Linien untereinander verbunden. Die drei Namen auf der Liste, die alle anderen bei Weitem durch die Zahl ihrer Verbindungen übertrafen, waren Laird, Kissinger und Rockefeller. Ich hatte die ganze Nacht damit verbracht, fieberhaft an diesem Schaubild zu arbeiten, und jetzt bat ich Goodwin, das alles von einem Mann nachrecherchieren und prüfen zu lassen.
»Na gut«, erwiderte er, »heute denken hier in Washington eine Menge Leute in dieselbe Richtung. Zweifellos gab es da irgendeine Absprache, aber …« Er hielt inne. »Sind wir nicht verdammt nahe am Abgabetermin? Herr im Himmel, das ganze Zeug kann niemals ausgecheckt werden, bevor …«
»Heilige Brabbelmutter Gottes!«, stammelte ich. Das Wort »Abgabetermin« ließ mein Hirn einen Augenblick aussetzen. Abgabetermin? Ja. Morgen früh, in ungefähr fünfzehn Stunden … Ungefähr neunzig Prozent meiner Geschichte waren schon gesetzt, und der rote Faden, der durch die gesamte Story lief, war meine Überzeugung, dass höchstens ein Atomkrieg Richard Nixons Verurteilung verhindern könne. Der Fehler an meiner Konstruktion war, dass sie auf drei Beinen stand. Und eine dieser drei Säulen war meine Annahme, Gerald Ford habe nicht gelogen, als er mehr als einmal öffentlich sagte, er habe nicht die Absicht, als Präsident eine Begnadigung von Richard Nixon zu erwägen, »solange der juristische Prozess nicht abgeschlossen ist«.
Himmelarsch! Ich legte den Hörer auf und schleuderte mein Schaubild durchs Zimmer. Dieser elende, sadistische kleine Dieb hatte es wieder einmal geschafft. Gerade vor einem Monat hatte er mich fast ausgeknockt, indem er so kurz vor meinem Abgabetermin abdankte, dass ich fast einen Nervenzusammenbruch bekam … und jetzt schaffte er es schon wieder, durch diese gottverdammte Begnadigung, die der Präsident aussprach – ließ mir weniger als vierundzwanzig Stunden, um eine 15000-Wörter-Story, die schon fast ganz gesetzt war, total
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