Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
umzuschreiben.
Es war absolut unmöglich, hoffnungslos – ich konnte höchstens so viele Seiten wie möglich in letzter Sekunde über das Mojo schicken und das Beste hoffen. Vielleicht hatte ja jemand in San Francisco Zeit, kurz vor Redaktionsschluss die beiden Versionen zusammenzustricken … Aber darauf kann man sich nicht verlassen, und daher wird dies bestimmt ein interessanter Artikel sein, wenn er erst mal gedruckt ist …
Na ja … raus damit also … warum nicht?
Ich erinnerte mich nur dunkel an Tucks Anruf. Weniger als fünf Stunden zuvor hatte ich sehr plötzlich in der Badewanne das Bewusstsein verloren, nachdem ich so ungefähr 133 Stunden ununterbrochen an einer Sache gearbeitet hatte, die ich seit zwei Monaten mit mir rumschleppte und immer wieder in zerfledderten Notizbüchern und auf gemieteten Schreibmaschinen in Hotels zwischen Key Biscayne und Laguna Beach überarbeitete, wobei ich noch alle naslang zu Stippvisiten nach Washington flog, um den Druck abzuschätzen und die Terminplanung im Auge zu behalten, und dann wieder nach Chicago oder Colorado abdüste … bevor ich mich wieder zurück auf den Weg nach Washington machte, wo die Überdruckventile dann alle auf einmal Anfang August in die Luft flogen und mich in einem Zustand hysterischer Erschöpfung erwischten, in dem ich hilflos nach Speed wimmerte, als Nixon plötzlich klein beigab und zurücktrat … und mich damit kurz vor meinem Abgabetermin in einen üblen Hinterhalt lockte. Ich war am Boden zerstört, und höchstens die extremste Sorte Chemotherapie hätte mir helfen können …
Es dauert einen Monat, um sich physisch von einem Zusammenbruch dieser Größenordnung zu erholen, und es dauert mindestens ein Jahr, bis man die Erinnerungen abgeschüttelt hat. Meiner Ansicht nach lässt sich damit nur jener lange, lange Augenblick unbeschreiblich intensiver Trauer vergleichen, den man kurz vor dem Ertrinken erlebt, jene letzten wenigen Sekunden auf dem Scheitelpunkt, wenn der Körper sich noch immer kämpfend widersetzt, der Geist jedoch schon aufgegeben hat … ein Gefühl totalen Versagens und ein überaus klares Begreifen dieses Versagens, was die letzten Sekunden vor dem Blackout schon fast friedlich erscheinen lässt. Wenn man an diesem Punkt doch noch gerettet wird, so ist das weitaus schmerzhafter als zu ertrinken: Die Rettung bringt die furchtbaren Erinnerungen zurück, wie man wild um Atem rang …
Und das ist haargenau das Gefühl, das ich hatte, als Tuck mich an jenem Morgen weckte, um mir zu berichten, Ford habe soeben Nixon eine »volle, uneingeschränkte und absolute« Amnestie gewährt. Ich hatte gerade eine lange und stellenweise sogar vernünftige Abhandlung verfasst – in der ich erklärte, wie Nixon sich selbst ins Abseits manövriert hatte und warum es unumgänglich war, dass man ihn bald unter Anklage stellte und wegen »Behinderung der Justiz« auch verurteilte, und dass Ford ihn dann begnadigen würde, und zwar aus einer Menge von Gründen, mit denen ich nicht übereinstimmte, die Ford jedoch schon so deutlich gemacht hatte, dass es keinen Sinn zu haben schien, sich darüber noch zu streiten. So logisch es auch erschien, dass Nixon zu einem Jahr Gefängnisaufenthalt in derselben Zelle wie John Dean verurteilt werden musste – dagegen gab es eigentlich weder juristische noch ethische Einwände –, ich verstand doch inzwischen genügend von Politik, um einzusehen, dass Nixon sich eines Verbrechens wie der Vergewaltigung und anschließenden Ermordung eines republikanischen Senatorensohnes für schuldig erklären müsste, ehe Gerald Ford auch nur erwägen würde, ihn einige Zeit hinter Gittern verbringen zu lassen.
Mehr oder weniger hatte ich das ja akzeptiert. Genauso wie ich nach achtzehn Monaten totaler Einlassung in den mühsamen Kampf, Richard Nixon loszuwerden, den Gedanken mehr oder weniger akzeptiert hatte, Gerald Ford könne so ungefähr alles tun, was ihm in den Sinn kommt, solange er nur mich davon unbehelligt lässt. Nach Nixons Abdankung war mein Interesse an nationaler Politik innerhalb von wenigen Stunden drastisch geschwunden.
Nachdem ich fünfeinhalb Jahre lang zugesehen hatte, wie eine Bande faschistischer Halunken das Weiße Haus und die Gesamtmaschinerie der Bundesregierung behandelt hatten, als handle es sich um ein erobertes Imperium und als seien sie, die Sieger, berechtigt, diese Beute nach Lust und Laune zu behandeln oder zu misshandeln, war die Aussicht, dass ein harmloser und etwas
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