Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Leinenbeutel.
Das untere Foyer war leer bis auf den Nachtwächter, einen gedrungenen schwarzen Gentleman, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Typen wie mich des Nachts vom Pool fernzuhalten, aber wir beide hatten schon seit geraumer Weile ein freundliches Übereinkommen getroffen. Schwimmen war untersagt, wenn der Pool geschlossen war, aber es gab keine Regel, die einen Doktor der Divinität daran hindern konnte, hinauszugehen und auf dem Ende des Sprungbretts zu meditieren.
»Morgen, Doc«, sagte der Nachtwächter. »Schon ziemlich früh auf, was? Besonders an einem so hässlichen Tag wie heute.«
»Hässlich?«, erwiderte ich. »Was sind Sie denn für einer – so was wie ’n gottverdammter republikanischer Onkel Tom? Wissen Sie denn nicht, wer heute die Stadt verlässt?«
Einen Augenblick sah er ganz verdutzt aus, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Recht haben Sie, bei Gott! Hab ich schon fast vergessen. Endlich sind wir den Mann los, nicht wahr, Doc?« Er nickte glücklich. »Ja, Sir, endlich sind wir ihn los.«
Ich griff in meinen Beutel und öffnete dann zwei Bass Ales. »Das muss gefeiert werden«, sagte ich und gab ihm eine Flasche. Meine hielt ich ausgestreckt. »Auf Richard Nixon«, sagte ich. »Möge er ersticken an dem Geld, das er gestohlen hat.«
Der Nachtwächter sah verstohlen über die Schulter, bevor er mit seinem Ale darauf anstieß. Das Klirren der beiden Flaschen hallte einen Augenblick durch das große verlassene Foyer.
»Bis später dann«, sagte ich. »Ich muss eine Weile meditieren und mich dann beeilen, dass ich runter zum Weißen Haus komme, um sicher zu sein, dass er auch wirklich abhaut. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehe, kann ich es nicht glauben.«
Die ruhige Oberfläche des Swimmingpools war übersät mit Millionen von Pockennarben, denn winzige Regentropfen fielen unablässig aufs Wasser. Das Tor war mit einer Kette verschlossen, und daher kletterte ich über den Zaun und ging bis ans andere Ende, wo ich einen trockenen Fleck unter einem Baum in der Nähe des Sprungbretts aufspürte. Die CBS-Morgennachrichten waren in ungefähr zwanzig Minuten fällig. Ich schaltete also den Fernseher ein, richtete die Antenne und drehte den Bildschirm so, dass ich ihn aus ungefähr sechs Metern Entfernung vom Pool aus gut erkennen konnte. Letzten Sommer bei den Watergate-Hearings des Senats hatte ich mir dieses System ausgetüftelt: Nach jeweils zwei Bahnen konnte ich über den Rand des Pools blicken und auschecken, ob Hughes Rudds Gesicht schon auf der Mattscheibe erschienen war. Wenn das der Fall war, kletterte ich aus dem Wasser und legte mich vor dem Apparat aufs Gras – drehte den Ton auf, steckte mir eine Zigarette an, öffnete ein frisches Bass Ale und machte mir meine Notizen, während ich den winzigen Schirm betrachtete, um mir eine grobe Vorstellung davon zu machen, welche Aktionen von Sam Ervins römischem Zirkus wohl für diesen Tag zu erwarten seien.
Ich blieb fast zwei Stunden da draußen am Pool, rein und raus aus dem Wasser, um ein paar Bahnen zu schwimmen und mich dann wieder auf dem Rasen auszustrecken und gelegentlich eine Bemerkung zu den Nachrichten niederzuschreiben. Viel war nicht los – nur ein paar abgedrehte Interviews unten am Tor des Weißen Hauses mit Leuten, die behaupteten, seit drei Tagen und Nächten die Totenwache zu halten, ohne ein Auge zugetan zu haben … Aber nur sehr wenige von ihnen waren in der Lage, auch nur andeutungsweise klarzumachen, warum sie es taten. Und mindestens die Hälfte der Menschenmenge, die sich während der letzten Tage am Weißen Haus aufhielt, schien aus Leuten zu bestehen, die jedes Wochenende bei einem anderen Demolition Derby zu finden sind.
Sonst war in den Nachrichten an jenem Freitagmorgen nur noch eine gelegentliche Wiederholung von Nixons offizieller Abdankungsrede vom Abend zuvor zu sehen. Ich hatte sie mir zusammen mit Vetter in der Watergate Bar angesehen. Das schien mir der angemessene Ort für diesen Abend, denn schließlich hatte ich auch den Abend des 17. Juni 1972 dort verbracht – während fünf Stockwerke über mir der Watergate-Einbruch vonstattenging.
Aber nachdem ich Nixons Rede zum dritten Mal gesehen hatte, ergriff mich eine seltsame Nervosität, und ich beschloss, so schnell wie möglich aus der Stadt zu verschwinden. Der Film war zu Ende – zumindest würde er in zwei oder drei Stunden vorüber sein. Nixon sollte um 10 Uhr abfliegen. Ford sollte seinen Amtseid um 12 Uhr
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