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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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mürrischer Miene zum Weißen Haus zurück.
    Ich war noch immer sehr dicht am Hubschrauber und betrachtete seine Reifen. Als das Biest aufzusteigen begann, wurden die Reifen plötzlich fett … es lastete kein Gewicht mehr auf ihnen. Der Hubschrauber stieg senkrecht hoch, schwebte einen Moment, stieß dann nieder in Richtung Washington Monument und verschwand schließlich im Nebel. Richard Nixon war fort.
    Das Ende kam plötzlich und ohne Vorwarnung, so als hätte eine dumpfe Explosion im Weißen Haus eine Pilzwolke in den Himmel aufsteigen lassen, um zu verkünden, die Drecksarbeit sei nun an die weitergereicht, die im Augenblick als neue Generation gelten müssen. Die Hauptreaktion auf Richard Nixons Abgang – besonders unter den Journalisten, die eine zweijährige Totenwache gehalten hatten – war ein wilder, wortloser Orgasmus lang erwarteter Erleichterung, der fast augenblicklich in eine Art dumpfer, postkoitaler Depression überging, die noch immer andauert.
    Es waren nur Stunden seit Nixons Abflug vergangen, und schon glichen alle Bars in der Innenstadt von Washington, die von Journalisten frequentiert wurden, Senkgruben des Trübsinns. Mehrere Stunden nachdem Gerald Ford seinen Amtseid geleistet hatte, fand ich den ehemaligen Kennedy-Redenschreiber Dick Goodwin in einer Bar nicht weit vom Rolling Stone -Büro gegenüber dem Weißen Haus. Er hockte vornübergebeugt allein in einer Nische und starrte geistesabwesend in seinen Drink wie ein Mann, dem gerade ein wild gewordener Geldeintreiber die Zähne rausgerissen hat.
    »Ich fühl mich total ausgelaugt«, sagte er. »Es ist, als hätte der Zirkus gerade die Stadt verlassen. Das ist das Ende der längsten Theaterspielzeit, die diese Stadt je erlebt hat.« Er bestellte sich bei der Kellnerin einen weiteren Drink. »Es ist das Ende einer Ära. Jetzt verstehe ich, wie sich all die Rock-Freaks gefühlt haben müssen, als sie erfuhren, dass die Beatles sich getrennt hatten.«
    Mir ging es nicht anders. Ich wollte nur so schnell wie möglich aus der Stadt raus. Ich war gerade aus dem Pressezentrum des Weißen Hauses gekommen, wo sich ein nebelhaftes Gefühl von öder Unbehaglichkeit breitgemacht hatte, kaum dass Gerald Ford den Eid geleistet hatte. Die Totenwache war endgültig vorüber, der böse Dämon vertrieben; und die Guten hatten gewonnen – zumindest hatte der Böse verloren –, aber das war nicht ganz dasselbe. Stunden nachdem Richard Nixon Washington verlassen hatte, war schmerzlich klar, dass Frank Mankiewicz zu früh den Mund aufgemacht hatte, als er, nur ein paar Wochen vor dem Fall, vorausgesagt hatte, Washington werde »das Hollywood der Siebziger« sein. Ohne Nixon, der das dünne Blut zum Kochen brachte, konnte sich das Washington der Siebziger auf dasselbe grimme Schicksal gefasst machen wie Aschenputtels goldene Kutsche Schlag Mitternacht. Es würde sich wieder in einen Kürbis verwandeln, und kein mysteriöser Schuh, der etwa auf dem Boden der verlassenen Ballsäle der Watergate-Ära liegen geblieben war, dürfte das Interesse eines jovialen Pragmatikers wie Gerald Ford finden. Er hat auch, zumindest für ein Weilchen, nicht genügend Zeit, sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen als dem Abrutschen der Nation in den Bankrott – ein Erbe, das Nixon ihm hinterlassen hat … Doch trotz ihrer furchterregenden Konsequenzen ist die verzweifelte Lage der Volkswirtschaft keine Story, die einen Adrenalinstoß auslöst wie den, von dem Washington und die gesamte Nation so lange gelebt haben. Und die Aussicht, auf dieses Adrenalin verzichten zu müssen, rief eine ernste Panik unter all den Watergate-Abhängigen hervor, die eigentlich überhaupt gar nicht wussten, wie süchtig sie waren, bis sie plötzlich von den Entzugserscheinungen kalt erwischt wurden. Wir alle wussten, dass es bald so weit sein würde – die Presse, der Kongress, die Öffentlichkeit, alle, die in Washington hinter den Kulissen agierten, und sogar Nixons eigene Gefolgsleute –, aber wir alle hatten unsere eigenen Terminvorstellungen, und als sein Ballon an jenem schicksalsträchtigen Montag im August plötzlich platzte, da ging es so schnell, dass keiner von uns darauf vorbereitet war. Die Nixon-Präsidentschaft hatte eigentlich nie recht Gelegenheit abzubröckeln , außer im etwas getrübten Rückblick … In Wahrheit fiel sie schlagartig in Trümmer, so schnell und so gewaltsam wie ein morsches hinfälliges Gartenhaus, das unter einer Serie von Blitzeinschlägen

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